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Depeche Mode Depeche Mode - Ein Chronik (Starfacts, 2003)

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Depeche Mode - Ein Chronik
[Starfacts, no. 2 - 2003. Text: Jörn Karstedt. Foto: Mannigfaltig.]
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Vorwort / Kapitel 1: An Ordinary Composition Of Sound bis 1980
Kapitel 2: Dreaming Of A New Life 1981
Kapitel 3: Larger Amounts 1982-83
Kapitel 4: The Glorious 4 1984-85
Kapitel 5: A Question Of Style 1986
Kapitel 6: Mode For The Masses 1987-88
Kapitel 7: World Violation 1989-91
Kapitel 8: Walking In Jesus' Shoes 1992-93
Kapitel 9: Moved By Invidious Love 1994-95
Kapitel 10: Kill The Pain 1996-97
Kapitel 11: It's Only When I Am On Tour 1998
Kapitel 12: Excited Again ab 2000
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Vorwort

Als in Vince Clarke, Martin Gore, Andrew Fletcher und David Gahan der Gedanke reifte, mit elektronischen Klangerzeugern Popmusik zu produzieren, waren sie noch eine vieler junger Bands aus England, die im Zuge der New Romantic-Bewegung Aussicht auf schnellen Erfolg hatten. Die revolutionär klingende, dabei aber vergleichschweise simpel arrangierte Popmusik der frühen Achtziger Jahre verhalf schillernden Künstlern und bizarren Selbstdarstellern zu Geld un Ruhm. Den wenigsten ist es allerdings gelungen, sich rechtzeitig als ernstzunehmende Musiker zu beweisen und ein Profil, welches über die Grenzen einer vorübergehenden Modeerscheinung reichte, aufzubauen. Eine der Ikonen dieser Zeit, die auch den Spring in die Neunziger mit Erfolg zu meistern, ja ihren Erfolg zuweilen sogar noch weiter auszbauen vermochte, waren Depeche Mode. Mit “Violator” schufen sie 1990 einen zeitlosen Meilenstein und gleichzeitig ihr erfolgreichstes Album. Es ließ sich nur noch erahnen, daß ihnen bis kurz zuvor noch das Image einer Band von Jugendlichen für ihresgleichen anhaftete. Doch auf den Höhepunkt ihrer Karriere folgte der Absturz – in körperlicher und emotionaler Hinsicht. Der viele Jahre schwer drogenabhängige Sänger Dave Gahan überlebte mehrere Überdosen und Selbstmordversuche, Andy Fletcher wurde psychisch krank und Martin Gore stand kurz davor, die Band aufzulösen. Und trotz des Ausstiegs des einzigen ausgebildeten Musikers nach einem kräftezehrenden Tourmarathon kam die Band nach langer Pause 1997 als gestärkte Einheit zurück und hat bis heute nichts von ihrem Status eingebüßt. Nach weit mehr als 40 Millionen verkauften Alben und gut 1000 Konzerten in allen Teilen der Welt werden Depeche Mode zurecht als Kultband bezeichnet, die dazu zu einer der am häufigsten genannten Quellen der Inspiration vieler Musiker zählt und durch deren Schaffen viele aktuelle Formen elektronisch basierter Musik überhaupt erst ermöglicht wurden.

Depeche Mode – eine Bandgeschichte, wie sie das Lehrbuch des Rock’n’Roll nicht besser hätte schreiben können. Ihren Verlauf, wie aus einer belächelten Teenie-Band unabhängige und künstlerisch relevante Superstars bis in die Gegenwart wurden, beleuchtet diese Chronik und versucht, eines der größten Phänomene in der Musikwelt transparenter zu machen: 22 Jahre Depeche Mode, ungeschönt in Wort und Bild.
 

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Kapitel 1
An Ordinary Composition Of Sound


Vince Clarke, geboren am 3. Juli 1960, war eine unauffällige Erscheinung. Der typische Einzelgänger, der nach der Schule im Kirchenchor sang, in seiner Freizeit mit Vorliebe den schnulzigen Songs von Simon und Garfunkel lauschte und irgendwann den Drang verspürte, selbst zu musizieren. No Romance In China nannten er und sein Schulfreund Andrew John Fletcher (geboren am 8. Juli 1961 in Nottingham) ihr Duo, welches sich vornehmlich eigenen Interpretationen ihrer Lieblingssongs wie “I Like It” von Gerry And The Pacemakers widmete, bis eine zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannte Band namens The Cure mit ihrem melancholischen Sound den Nerv des jungen Clark traf. Mit Perry Bamonte, später Keyboarder bei The Cure, gründete er daraufhin ein weiteres Due namens The Plan, welches er allerdings aufgrund eingeschränkter kreativer Entfaltungsmöglichkeiten bald wieder verließ. Zusammen mit “Fletch” und dessen bestem Freund Martin Lee Gore orientierte er sich musikalisch neu. Clarke übernahm die Chefrolle, schrieb und sang die Songs und Moog-Synthesiser sollten auf seinen Verlaut hin Baß und Gitarre ersetzen. So entstand seine erste rein elektronische Formation: Composition Of Sound. Martin Gores Interesse für Musik hatte einen tieferen Ursprung. An seinem 13. Geburstag bekam der am 23. Juli 1961 in Dagenham, Essex, geborene Sohn eines Kraftfahrers und einer Altenpflegerin von seinen Eltern eine Gitarre geschenkt. Inspiriert vor – allem von Gary Glitter und den kultigen Sparks schrieb er mit 16 Jahren, noch während der Schulzeit, die Songs “See You” und “A Photograph Of You”, welche später beide auf dem Album “A Broken Frame” (1982) von Depeche Mode zu finden sein werden. Bei seiner früheren and Norman And The Worms lernte Martin Gore den Umgang mit elektronischen Klangerzeugern.

Als Composition Of Sound lehnte man sich an die bereits etablierten Kraftwerk und Gary Numan an, der Ende der Siebziger mit seiner Tubeway Army die Hitparaden anführte. Martin spielte nebenbei in einer weiteren Band, The French Look, wo ein abgefahrener Typ den Livesound mixte: David Gahan. Vince Clarke, beeindruckt von den gesanglichen Fähigkeiten, die Gahan bei einer Jamsession an den Tag legte, lud ihn spontan ein, Sänger bei seiner Band zu werden, um selbst etwas aus dem von ihm eher ungeliebten Lich der Bühne treten zu können. Gahan sagte zu, mußte jedoch seine Scham beim ersten Auftritt im Vorprogramm von der lokal recht angesagten Band The French Look mit reichlich Alkohol betäuben, wie der Sänger später zugab. Dave war in der Szene seiner Heimatstadt Basildon keine Unbekannter und nicht zuletzt machten seine im Publikum zahlreich vertretenen Kollegen aus der Punk- und Glamour-Szene diesen Abend zu einem vollen Erfolg. Am 9. Mai 1962 kam er in Epping zur Welt. Sein Vater verließ kurz darauf seine Mutter, zwei Halbbrüder, Peter und Philip, und seine Schwester Sue. Sein Stiefvater starb, als Dave sieben Jahre alt war. Mit zehn Jahren lernte er seinen leiblichen Vater kennen, von dessen Existenz er bis dahin nichts wußte. Seine bis dato heile Welt zerbrach und sein Leben verließ für mehrere Jahre geregelte Bahnen. Er schwänzte die Schule, verkaufte frisierte Motorräder und mußte wegen Vandalismus, Autodiebstahls und als illegaler Graffitikünstler vor den Jugendrichter, der ihn zu geringen Strafen verurteilte. Als Vierzehnjähriger ließ Dave sich tätowieren und zog mit Drogensüchtigen und Schlägern durch die Nächte. Er probierte selbst Drogen aus, verlor sehr früh seine Unschuld (die Freundinnen seiner älteren Schwester sollen sich sehr für ihn interessiert haben) und führte ein Punk-Leben auf der Überholspur, wo für längere ernsthafte Arbeit oder eine Ausbildung vorerst kein Platz war. Wichtiger waren das allabendliche Abhängen in angesagten Londoner Clubs und Konzerte von The Clash und The Damned. Hier lernte er seine spätere Frau Joanne Fox kenne. Der stets modebewußte Dave entschloß sich später dennoch, drei Jahre an einer Kunsthochschule zu studieren und er war es auch, der nach kurzer Bandzugehörigkeit den Namenswechsel zu Depeche Mode (schnelle Mode) anregte: Ein klangvoller Name, der einer gleichnamigen französischen Zeitschrift eintliehen wurde, die er zu Studienzwecken regelmäßig lesen mußte. Anders als ihr Bandname suggeriert, werden sich Depeche Mode keinesfalls wie eine kurzlebige Modeerscheinung darstellen.

Mit dem Lagerraum einer Kirche war nur kurz nach der Namensgebung auch ein geeigneter Proberaum gefunden, und wenig später folgten Auftritte bei Schulfesten und in kleinen Clubs. Zunächst wurden Coverversionen von “The Price Of Love” (Everly Brothers), oben genanntes “I Like It”, aber auch eigene Titel wie “Television Set” und “Photographic” gespielt. Depeche Mode hatten sich in der hiesigen Szene schnell einen Namen gemacht und erste Erfolge erzielten sie als Hausband bein samstaglichen “Glamour Club”, der Synthieparty im Londoner Club Croc’s, wo später das erste Konzert von Boy Georges Culture Club stattfand und Mitglieder von Duran Duran und Spandau Ballet verkehrten.

Erste vielversprechende Angebote ließen nicht lange auf sich warten. Der bekannte Electro-DJ Steve “Stevo” Pearce bat die Band, einen Track zu dessen “Some Bizzare Compilation” – Some Bizzare war bereits Labelheimat von beispielsweise Soft Cell – beizusteuern. Nach reichlich Überlegung schlugen sie das Angebot ab und bewarben sich statt dessen mit einem Demotape bei diversen anderen Labels. Absagen oder gänzlich ausbleibende Antworten brachten jedoch kurz darauf herb Ernüchterung. So geschehen auch beim Independent-Label Rough Trade, bei welchem sich ungefähr zur selben Zeit ein großer Fan elektronischer Musik namens Daniel Miller um den Vertrieb von “Warm Leatherette”, der Single seines eigenen Projektes The Normal, bewarb. Daniel Miller hatte dafür das Label Mute gegrundet und konnte kurz darauf einen doppelten Erfolg verbuchen. Zum einen übernahm Rough Trade den Vertrieb und außerdem war die Erstpressung von “Warm Leatherette” schnell ausverkauft. Millers Kontakte zu Rough Trade wurden enger und so wurde The Normal ein Auftritt mit Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire sowie eine kleine Tour mit den Stiff Little Fingers ermöglicht.

1979 unterschrieb Fad Gadget alias Frank Tovey als erstes Fremdsigning bei Mute Records. Seine frühen Singles “Back To Nature” und “Ricky’s Hand” wurden Hits, die ihrer Zeit vorauseilten und mit extrovertierten Bühnenshows, die man zuletzt während Depeche Modes “Exciter-Tour” (2001) zu sehen bekam, vermochte er sein Publikum gleichzeitig zu schockieren und zu begeistern. Frank Tovey starb sehr jung und unerwartet im Jahre 2002 an Herzversagen. Sein Tod ist ausgesprochen tragisch, zumal er mit seiner letzten Tour und einem zeitgleich erschienenen Best Of-Album nach langjähriger Pause erneut viel Aufmerksamkeit und Respekt erfuhr.

Die Formation DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft) erhielt kurz nach Fad Gadget für ihr Album “Die Kleinen und die Bösen”, der ersten LP in der Geschichte von Mute, den Zuschlag. DAF gelten neben Kraftwerk als wichtigste Wegbereiter für die breite Akzeptanz elektronischer Musik und bewiesen Daniel Millers gutes Gespür für potentielle Newcomer.

Um so verwunderlicher ist es deshalb, daß sein erster Kommentar zu Depeche Mode ein niederschmetterndes “Bullshit” war. Nur einen Monat nach dem ersten Zusammentreffen mit der Band im Buro von Rough Trade sah er jedoch die vier nach eigenen Angaben “vergammelt aussehenden New-Romantic-Typen” als Vorband seines eigenen Schützlings Fad Gadget im Londoner Bridgehouse und war begeistert: “Was da aus den Lautsprechern kam, das war einfach unfaßbar. Zuerst dachte ich, nun ja, der erste Song ist bei allen gut, aber Konzert bot er der Band die Veröffentlichung einer Single auf seinem Label an. Nach einigem Zögern, das Angebot Stevos noch im Hinterkopf, wurde man sich einig und lediglich ein Handschlag besiegelte ihre erste Zusammenarbeit. Diese eigenwillige Form des Vertragsabschlusses ist äußerst seltem im von Natur aus mißtrauischen Musikbusineß. Weitaus ungewöhnlicher ist jedoch, daß auch Jahr später, während Depeche Mode bereits Millionengewinne erzielten, kein unterzeichnetes Papier existierte, das die Verpflichtungen beider Parteien festlegte.

Daniel Miller und Stevo pflegten stets die gute Zusammenarbeit ihrer jungen Labels. Ein gemeinsames Ziel vor Augen, war dies eine Beziehung mit beinahe freundschaftlichem Charakter. So stellte es kein Problem für beide Seiten dar, ihre Entdeckungen gegenseitig auszutauschen: Miller produzierte Soft Cells Single “Memorabilia” und Stevo bekam eine Frühversion von Depeche Modes “Photographic” für seine im Februar 1981 erschienene “Some Bizzare Compilation”. Heute beinahe unbezahlbar und eine der gesuchtesten Raritäten unter Fans, waren auf dieser LP auch Blancmange, The The, Soft Cell und Naked Lunch vertreten – junge Rebellen, die das New Romantic Zeitalter einläuteten und wenige Jahre später zu dessen Vorreitern zählten.
 

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Kapitel 2
Dreaming Of A New Life


Unzählige Auftritte und der Beitrag zu Stevos “Some Bizzare Compilation” machten auch größere Plattenlabels auf die vier smarten Burschen aufmerksam. Die Bosse witterten schnelles Geld und mit Hilfe ihres großen Promotionapparates konnten sie einen Hit in den Top 10 beinahe garantieren. Daniel Miller kam mit seinem zu diesem Zeitpunkt noch winzigen Unternehmen etwas in Bedrängnis. Im Prinzip war die Produktion einer Single beschlossene Sache, aber da es keinen schriftlichen Vertrag gab, hätte die Band sich auch ohne weiteres anderen, verlockenderen Versprechungen hingeben können. Wenn man heute zurückblickt, kann man den Umstand, daß dies nicht geschah, als großes Glück bezeichnen denn dann hätte es Depeche Mode mit aller Wahrscheinlichkeit nicht lange gegeben, doch dazu mehr im dritten Kapitel.

Miller konnte sich gut in die Gemüter seiner Schützlinge hineinversetzen. Sein Verhältnis zur Band verglich er selbst einmal treffend mit einer guten Beziehung zwischen Onkel und Neffe. Seine Meinung als Manager wurde immer respektiert, auf der anderen Seite wollte er die Band zu nichts drängen und ließ ihnen gern Freiheiten, die für ihre musikalische Entwicklung wichtig waren, wozu auch Fehler gehörten. Mit seinen knapp 20 Jahren war es vor allem Vince Clarke, der alles erreichen wollte und dies auch noch möglichst schnell, während seine Bandkollegen abwartender waren, wenn nicht sogar unentschlossen und manchmal desinteressiert. Der Labelchef prophezeite also ganz einfach den Erfolg einer ersten Single, jedoch nicht ohne auch selbst daran zu glauben, und er wird recht behalten. Der Song wurde in den Blackwing-Studios, eingerichtet in einer nicht mehr benutzten Kirche im Südosten Londons, eingespielt. Eric Radcliffe arbeitete dort als Toningenieur und erwies sich nach einiger Gewöhnungszeit an die merwürdigen Instrumente der Band als kompetenter und kreativer Mitarbeiter. Auch die Veröffentlichungen bei Mute in den folgenden Jahren wurden bei ihm produziert; Vince Clarke bedankte sich sogar mit dem Albumtitel seiner späteren Band Yazoo: “Upstairs At Eric’s”. “Dreaming Of Me”, von Vince Clarke geschrieben, sollte die erste Single werden. Nach Ansicht der Band bewegte sie sich stilistisch zwischen ihrem poppigsten Material und dem rauheren Electrosound, den sie hauptsächlich live spielten, und deshalb schien ihnen dieser Song geradezu prädestiniert dafür, Depeche Mode einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Am 20. Februar 1981 wurde die Single auf 7”-Vinyl an die Plattenläden ausgeliefert. Während “Dreaming Of Me” mit analog fiepender Leichtfüßigkeit und selbstverliebter textlicher Naivität daherkam, wurden auf der B-Seite mit dem Stück “Ice Machine” schon andere Töne angeschlagen. Durch seine schwere Melodie und härtere Instrumentierung paßte dieser Song auch noch Jahre später in leicht überarbeiteter Form in die Setlist bei Konzerten Depeche Modes und zählt zu den Lieblingssongs vieler Fans. “Dreaming Of Me” fand das gewünschte Airplay bei einigen Radiosendern, einen guten Monat später den Weg in die offiziellen englischen Charts bis auf Platz 57 und stellte wochenlang die Nummer eins der Indie-Charts. Aus aller Welt kamen daraufhin Anfragen nach Vertriebslizenzen und in Amerika liefen bald erste Verhandlungen mit Sire Records vom Warner-Konzern, da Miller schon vorher gut mit dem Sire-Manager Seymour Stein zusammengearbeitet hatte. Auch die Aufmerksamkeit europäischer Lizenzpartner regte sich umgehend. In Schweden fand sich das Independentlabel Sonet von Rod Buckle, mit dem Miller durch ganz Europa reiste und Verträge abschloß. Durch diese Unterstützung lernte Miller außerdem eine Menge über das internationale Geschäft.

Es folgten zahlreiche Gigs, mittlerweile an die 50, in ganz England bis in den Sommer hinein, unter anderem auch wieder im Vorprogramm von Fad Gadget, dem sie beinahe die Show stahlen. An freien Tagen wurden im Blackwing-Studio neue Songs eingespielt. Martin Gore und Andy Fletcher arbeiteten nach wie vor in seriöser Bank- beziehungsweise Versicherungsumgebund und stießen nachmittags im Studio zum arbeitslosen Vince Clarke, der sich ganztägig der Band widmen konnte, und zu Dave Gahan, der als Student weitaus mehr Freizeit hatte als seine jobbenden Kollegen. Auch wenn Miller oft im Studio anwesend war, sprach Clarke das mächtigste Wort. Er schrieb die meisten Songs und hatte schon vor der Produktion genaue Vorstellungen, wie sie letztendlich zu klingen hatten. Während Gore zu Rate gezogen wurde, wenn es um Melodien ging, die er stets mit Leichtigkeit aus dem Ärmel schüttelte, wurden Gahans Einwürfe, die zumeist aus skeptischem Nachfragen bestanden, weitgehend ignoriert. Eine Handvoll Songs wurde zu dieser Zeit fertiggestellt und “New Life” am 13. Juni als zweite Single veröffentlicht. Mit seinem flottem Tempo wirkte “New Life” noch fröhlicher und harmloser als “Dreaming Of Me”. Martin Gore sagte damals: “Die Songs von Vince sind seltsam, denn sie haben eigentlich keinerlei Sinn. Er erfindet irgendeine Melodie und sucht sich dann die Wörter zusammen, die sich halt nur zu reimen brauchen.”

Doch dann ging es Schlag auf Schlag: Beim englischen Radio 1 gab es eine Depeche Mode Sondersendung während “New Life” in die Charts knallte. Bis auf Platz 11 schaffte es die Single in England und ein Auftritt bei Top Of The Pops folgte. Heute verleitet der Mitschnitt des Auftritts bei Top Of The Pops eigentlich nur noch zum Kopfschütteln: Alberne Klamotten, blöde Frisuren und Herumgehampel hinter den Keyboards. Auch die Band teilte diesen Eindruck, wie die Bemerkungen Andy Fletchers zeigten: “Man drückt die Tasten auf dem Kayboard und tut so, als würde man spielen, gesungen wird in ein Mikrofon, das gar nicht angeschlossen ist. Nach einer Weile fragt man sich, was man da eigentlich treibt und ob man nicht vor Millionen von Zuschauern wie ein Vollidiot aussieht.” Nützlich war diese Schauspielerei anscheinend trotzdem, denn 500.000 Einheiten verkauften sich in 15 Wochen Chartpräsenz.

Mit der Veröffentlichung von “New Life” wurde auch schon die nächste Single eingespielt. “Just Can’t Get Enough”, so der Titel, ist ein schwer abzuschüttelnder Ohrwurm, über den sich die Band, auch heute noch, unberechtigter Weise definieren lassen muß. “Just Can’t Get Enough” wurde am 7. September 1981 veröffentliicht und erreichte in England den achten Platz. Erstmals wurde zu einer Single von Depeche Mode auch ein Video gedreht. Der betriebene Aufwand war jedoch noch sehr limitiert und die Aussage des Clips, milde formuliert, unspektakulär. Aufgrund seiner großen Eingängigkeit und unbestrittenen Note des Klassikers wurde dieser Song immer wieder ins Liveset eingebunden und fand 1998 zum (bisher) letzten Male Einsatz als Schlußtitel und Partykracher mit Mitgröl-Garantie bei Konzerten im rahmen der “Singles-Tour”.
 

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Nach den Aufnahmen brach die Band erneut zu einer Kurztour euf, bei der die Stationen Brighton, Manchester, Leeds und Edinburgh auf dem Plan standen. Daniel Miller war dabei und bekam neben seinen sowieso schon vielfältigen Aufgaben in Bandbelangen noch einige neue dazu: Fahrer, Tourmanager und Toningenieur. Kurz darauf zierten Depeche Mode das Cover des Magazins New Musical Express (NME) in England. Der damals noch wenig bekannte, heute einer der gefragtesten Fotografen im Showgeschäft, Anton Corbijn, schoß das Foto und verwendete seine typische Perspektive mit fokussiertem Hintergrund und unscharfer Bildmitte. Gahan äußerste sich dazu: “Ich stand zwar ganz vorn, war aber nur unscharf zu sehen, das fand ich ziemlich fies. Ich war außer mir und dachte nur: Dieser Bastard hat mich absichtlich unscharf geknipst.” In Funk und Presse selbst wurden sie jedoch als vorübergehendes Phänomen im Zuge der New-Romantic-Bewegung abgetan, welches nicht weiter erst genommen werden müsse. Moglicherweise lag die Ursache für diese Einschätzung in ihrer ständigen Medien-Präsenz mit einseitigen Darstellungen, was konsequenter Weise auch bald einzuschränken versucht wurde. Die Betonung liegt auf “versucht”, denn von ihrem Image als Teeniepop-Band konnten sich Depeche Mode, vor allem in England, erst zwölf Jahre später komplett lossagen.

Alles lief bis zu diesem Zeitpunkt mehr als zufriedenstellend, doch dann kam der Schock: Vince Clarke gab sein freiwilliges Ausschieden aus der Band bekannt. Angedeutet hatte sich seine Unzufriedenheit bereits während der vorangegangenen Konzerte, bei denen er kaum noch mit dem Rest der Band kommunizierte, mitgeteilt hat er seinen Entshcluß dann jedem einzeln. Als Gründe nannte er seinen Mißmut gegenüber dem Rummel in der Öffentlichkeit, dem stressigen Promotionalltag und die zunehmende kreative Einschränkung, die mit dem Erfolg einherging. Ans Aufgeben dachte jedoch keines der verbliebenen Mitglieder – nicht nachdem sie so viel erreicht hatten. Vielmehr wurden die Aufgaben in der Band neu verteilt. Martin hatte bereits einige Songs geschrieben und ein gutes Gespür für Melodien, er sollte deshalb die Rolle des Songwriters vollständig übernehmen. Fletch verfügte über Organisationstalent und widmete sich stärker den Bandbelangen, an Daves Rolle mußte nichts korrigiert werden.

Clarkes Entschluß blieb dennoch vorerst geheim, zumal weitere Konzerte gebucht und ein Veröffentlichungstermin für das Debütalbum “Speak & Spell” in Sicht waren. Nichts konnte zu diesem Zeitpunkt schädlichere Auswirkungen haben als gehässige Presse, die das anscheinende Eintreten ihrer Prophezeiungen zum Thema Kurzlebigkeit bestätigt gesehen hatte. Des weiteren sollte in den nächsten Tagen der Vertrag mit Sire Records unterschrieben werden, der unter diesen Umst:anden vielleicht nicht zustande gekommen wäre. Also war Clarke noch bei der folgenden, ausverkauften Tournee, die sie als Vorband von Blancmange durch das gesamte Vereinigte Konigreich führte, dabei. Auch die Freundinnen von Gahan und Gore reisten mit. Joanne Fox Leitete damals den Fanclub von Depeche Mode und Anne Swindell verkaufte Merchandising-Artikel. Im Londoner Lyceum stand Vince Clarke das letzte Mal für Depeche Mode auf der Bühne. Das war am 16. November des Jahres 1981.

Knapp drei Wochen vorher, am 29. Oktober, wurde “Speak & Spell” veröffentlicht, erreichte in England den respektablen zehnten Platz der Albumcharts und konnte sich ganzee 32 Wochen lang in den Top 100 behaupten. Anders als es die meisten ihrer Konkurrenten handhabten wurde vermeiden, einfach die Gesichter der Band auf dem Cover abzubilden. Ein rot beleuchteter Schwan, eingehüllt in Plastikfolie, schützte statt dessen das Vinyl, welches neben den beiden Singles “New Life” und “Just Can’t Get Enough” neun weitere Songs enthielt, darunter auch ein runderneuertes “Photographic” und das grandiose “Tora! Tora! Tora!”, welches zusammen mit “Nodisco” und “Puppets” den anspruchsvolleren Gegenpol zu beinahe banal wirkenden Popnummern wie “What’s Your Name?” oder “Boys Say Go!” bildete. Auch Dave Gahan stellte wenige Jahr nach Erscheinen fest: “Bestimmte Tracks auf ‘Speak & Spell’ sind mir heute peinlich, obwohl ich die Platte damals großartig fand.” Trotz allem war dieses Album ein beachtliches Debüt und sein Erfolg bewegte Gore und Fletcher endgültig zur Aufgabe ihrer Jobs. Es war der Antreib für die Fortführung und Weiterentwicklung ihrer musikalischen Arbeit, jedoch nicht ohne vorher wieder den Platz an den Keyboards zu beseten, den Vince Clarke hinterlassen hatte.

Im englischen Musikmagazin Melody Maker war in einer Kleinarnzeige zu lesen: “Bekannte Band sucht Keyboarder unter 21 Jahren.” Unter den zahlreichen Bewerbern glänzte vor allem der am 1. Juni 1959 im Londoner Stadtteil Hammersmith geborene Alan Wilder. Er beherrschte aufgrund seiner musikalischen Erziehung verschiedene auch akustische Instrumente und konnte eine abgeschlossene musikalische Ausbildung vorweisen. Wilder war nach der Schule an verschiedenen Musik-projekten beteiligt und jobbte in Tonstudios. Zuletzt spielte er bei den Hitmen, deren Sänger Ben Watkins später die Ambient-Legende Juno Reactor gründete. Alan Wilder wurde von Daniel Miller und Depeche Mode zum Vorspielen eingeladen und hatte ihre Songs bis ins letzte Detail einstudiert, was für ihn gleich einer simplen Übung gewesen sein soll. Auch sonst schien er einen guten Eindruck zu hinterlassen, denn er war von Seiten der Band Wuschkandidat Nummer eins. Sein waheres Alter von 22 Jahre verschwieg Alan vorerst, vor allem weil er anscheinend nicht ganz den Geschmack von Daniel Miller traf, dessen Einfluß auf die Band nicht gerig war. Miller meinte später: “Wahrscheinlich hätte ich dem zweiten Kandidaten aus der Endrunde den Vorzug gegeben, aber sie wollten Alan haben. Es ging ja auch nur darum, wieder einen Live-Musiker zu haben, nicht etwa ein ständiges neues Bandmitglied einzustellen.” In diesem Falle setzte sich das verbliebene Trio durch: Mit Alan Wilder war der passende vierte Mann für die kommende Tournee gefunden.
 

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Kapitel 3
Larger Amounts


Der durch das Ausschieden Vince Clarkes freigewordene Platz an den Tasten war also wieder besetzt, zumindest bei den bevorstehenden Konzerten. Im Studio bewegte man sich jedoch erstmalig zu dritt, um die neue Single “See You” einzuspielen. Miller sagte damals wörtlich zu Alan Wilder: “Eigentlich brauchen sie dich nicht im Studio für ihre nächste Single.” Ohne Clarkes konzeptionelles Vorgehen lief die Arbeit dort aber weitaus weniger organisiert ab. Den Text hatte Martin Gore bereits während der Schulzeit geschrieben und die Melodie stand fest, wie der Song jedoch letztendlich arrangiert werden sollte, wurde erst nach vielfältigen Tüfteleien klar. Fertig wurd er trotzdem und erschien am 29. Januar 1982 als vierte und bis dahin erfolgreichste Single. Da dies die. Erste Etappe eines Neuanfangs darstellte, war der Erfolg (Platz 6 der britischen Charts) ungemein wichtig für das Selbstbewußtsein der Band un gegenüber der Presse der Beweis dafür, daß sie auch nach dem Verlust des ehemals wichtigsten Bandmitglieds Hits zu schreiben im Stande waren.

Ebenfalls im Januar stand Alan Wilder das erste Mal als Musiker mit auf der Bühne des Londoner Croc’s und anschließend ging es im Rahmen einer Blitztour zum Livedebüt nach Amerika. Als die Visa beantragt wurden, kam nicht nur Dave Gahans Strafregister ans Licht, auch die Weste des mittelständig-gut erzogenen Alan Wilder wies einen Fleck auf, wegen Ladendiebstahls. Größere Probleme gab es deshalb aber nicht und man konnte bald auf die ersten beiden Gigs im New Yorker Ritz zurückblicken.

Um an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, war es nötig, der Band ein stärkeres Image zu verleihen und Daniel Miller stellte den Pressesprecher Chris Carr ein. Carr äußerte sichüber das Erscheinungsbild von Depeche Mode: “Als Band waren sie wirklich schlapp, echte Luschen. Sie waren sehr unsicher, wer sie wirklich waren und wie sie erscheinen sollten. Wir hatten mit dieser Gruppe etwas in der Hand, was in die richtige Richtung gelenkt werden mußte, wenn wir es nicht verlieren wollten. Also suchten wir die seriöse Bestätigung ihres Wertes einerseits durch den New Musical Express und auf der anderen Seite durch die Dauerwerbung auf Radio 1.” Fortan wurde auch nicht mehr jeder Interviewanfrage nachgegeben und die Korrespondenz mit reinen Teenie-Magazinen eingeschränkt, was diese jedoch nicht davon abhalten konnte, kurzerhand selbst erfundene Stories abzudrucken. Das deutsche Magazin BRAVO kurbelte einige Jahre später in Folge des vorübergehend totalen Kooperationsstops, auch mit der seriösen Tagespresse, eine Diskussion an und fragte: “Schnappen Depeche Mode über?”

Zeit zum Ausruhen blieb kaum, denn die Vorbereitungen für die nächste Tour waren bereits in vollem Gange. Miller programmierte die Keyboards und die Band probte zusammen mit Alan Wilder, der dabei lediglich Anweisungen bekam, in den Blackwing-Studios. Die folgende Tour führte die Band 15 Tage lang einmal mehr durch ganz England, wo sie erstmalig mit hysterischen Fans in Berührung kam. “Die haben mich beinahe in Stücke gerissen, es war beängstigend”, erzählte Gahan. “Ich wurde sofort umringt und konnte kaum noch entkommen. Sie grabschten nach mir, rissen an meinen Klamotten und Haaren. Ich bekam echt Angst und rannte davon – diese Kids könnten einen umbringen.” Anschließend begab man sich im März auf das europäische Festland, wobei auch Konzerte in Hamburg, Berlin und Hannover gegeben wurden.

Am 16. April 1982 kam die nächste Single “The Meaning Of Love” heraus und erreichte Platz 12. Zur selben Zeit belegten Vince Clarke und seine Schulfreundin Alison Moyet mit ihrem gerade erst gegründeten Projekt Yazoo Platz 2 der Charts mit “Only You”, einem Song, den Clark noch bei seinem Abschied zurücklassen wollte, der von Depeche Mode jedoch abgelehnt wurde – ein gefundenes Fressen für die schadenfrohe Presse. Das Verhältnis zu Vince Clarke gestaltete sich zwar entsprechend gespannt, aber niemand mißgönnte ihm seinen Erfolg.

Nach einer kurzen Amerika-Tour ging es im Sonmmer auch bald wieder zurück zum Studioalltag, den die Zeit für ein notwendiges neues Album rücke näher. Auf die Unterstützung des engagierten Keyboarders verzichtete die Band erneut und Wilder blickte frustriert zurück: “Ich war unglücklich, schon wieder ausgeschlossen zu wereden, schließlich war ich seit Anfang des Jahres mit auf Tournee und von mir wurde erwartet, nach der Produktion bei der Albumpromotion dabei zu sein.”

Während der ersten Sessions entstand unter anderem “Leave In Silence”, welches als weiter Single dem Album vorausgeschickt wurde. Dieser schwermütige Popsong offenbarte Martin Goers Talent als Texter. Mit viel Feingefühl bekam das Stück dann im Studio auch das melancholische Gesicht, welches Depeche Mode mit den darin transportierten Stimmungen später unverwechselbar machen wird. “Leave In Silence” zählt ohne Fräge zu ihren besten Songs der frühen Achtziger und die Band war bereits bei seinem Entstehungsprozeß von der Qualität des Titels überzeugt. Um so enttäuschter zeigte man sich dann nach dem verhältnismäßig schlechten Abschneiden in den Hitparaden mit einem 18. Platz. Gore meinte: “Wir hatten hohe Erwartungen in diesen Song gesetzt, vielleicht zu hohe.” Mit einer derart düsteren Stimmung, ausgehend von der von ihnen vorzugsweise herablassend behandelten Band, wußten auch viele Musikkritiker nichts anzufangen. Paul Weller vom Melody Maker trieb die negativen Kritiken auf die Spitze, als er schrieb: “Ich habe sogar schon aus Kenny Wheelers Arschloch bessere Melodien kommen hören.” Paul Weller, schon in den Siebzigern mit seiner Band The Jam erfolgreich, hatte für den in England lebenden Jazztrompeter und Komponisten Jahrgang 1930 offenbar ähnlich wenig übrig wie für Depeche Mode.

Am 2. September 1982 folgte fas zweite Album mit dem treffenden Titel “A Broken Frame”. Etwas unglücklich wirke die Vermischung von oberflächlichen Popnummern und anspruchvollen Songs mit melancholischen Grundzügen. So hätten sich beispielsweise “A Photograph Of You” und “Meaning Of Love” stilistisch durchaus auch auf “Speak & Spell” befinden können, während “Leave In Silence”, “My Secret Garden” und “The Sun & The Rainfall” Zeugnis über die zunehmende Reife Depeche Modes ablegten. Der Hauptgrund für dieses qualitative Gefälle dürfte vor allem die Scheu davor gewesen sein, den Stil schlagartig zu ändern und somit vielleicht das bisherige Publikum zu verlieren. So verschieden die Songs auf “A Broken Frame” ausfielen, so different gestalteten sich auch die Kritiken der Fachpresse. NME zeigte sich erwartungsgemäß begeistert, während der Melody Maker einmal mehr aburteilte: “Die Platte klingt wie knabenhafte Begeisterung, mit der Anonymität verdeckt wird. Die Texte sind zwar von staunendem Vergnügen zu empörter Frustration gereift, aber die resignierenden Worte von “Leave In Silence” sind ebenso wie die glatten Phrasen von “Just Can’t Get Enough” eben doch nur Worte und nichts als Worte.”

An den Erfolg von “Speak & Spell” konnte dieses Album nicht anknüpfen. Martin Gore blickt zurück und erkennt einen ganz entscheidenden Umstand: “Ich bin überzeugt, daß es uns heute nicht mehr gäbe, wären in das ‘Syndrom des zweiten Albums’ gefallen und nach dem dritten wären wir gefeuert worden.” Die Fans blieben dennoch treu und machten die folgende Tour zu einem soliden Erfolg, wanngleich sich dieser, trotz gefeirter Termine im fernen Osten, nach dem Abklingen einer ersten Euphorie in Europa lediglich bestätigte und kaum vermehrte. Nach der Albumveröffentlichung wurde Alan Wilder vollwertiges Bandmitglied. “Daniel rief mich an”, resumierte er später, “ich glaube, die Band tat sich ebenso schwer darin, Überbringer von guten wie von schlechten Nachrichten zu sein.”

So wurde Alan bei der Arbeit an “Get The Balance Right” vollzeitig zu Rate gezogen und entfaltete sofort das kreative Potential, was seit seinem Eintreten in die Band auf enen Ausbruch gewartet zu haben schien. Für, “The Great Outdoors!” wirkte er als Co-Songwriter. Dieser Song wurde die experimentelle B-Seite der siebten Single, die am 31. Januar 1983 erschien. Mit einer ersten Notierung auf Rang 32 befriedigte “Get The Balance Right” zwar nicht die Hoffnungen nach dem mittleren Erfolg von “A Broken Frame”, aber Präsenz war nötig und eine Alternative gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Schließlich wurde mit dem 13. Platz doch noch ein respektabler Platz in den britischen Verkaufscharts erzielt und Martin Gores Bemerkung zur Single, die seinen Haß ihr gegenüber bekundete, relativierte sich, zumal bei ihrer Produkopm auch noch unbeherrschtes neues Equipment zum Einsatz kam.
 

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Vor allem Martins Erlebnisse während der Konzerte in Asien und der Kontakt mit meitleidenswerter Armut nahmen Einfluß auf die Texte seiner neuen Songs für das geplante dritte Album, welche Alans Angaben zufolge in nur zwei Wochen an finaler Form gewonnen haben soll. Neben neuer lyrischer Thematik nahm auch das stilistische Gewand reifere Züge an und dieses wurde mit Gareth Jones als kreativen Produzenten, der sich damals bereits seit mehr als einem Jahrzehnt mit Studiotechnik befaßte, um weitere Vielfalt bereichert. Auch wenn er vorher nicht in kommerziell erfolgreiche Projekte involviert war, stellte er sein Studio und sich selbst dieser Herausforderung. Depeche Mode ließen sich von dem bei Jones bald sichtbaren Elan mitreißen und entdecken ihr Liebe zu der neuesten soundtechnischen Errungenschaft, der Sampletechnologie, die vom Musikcomputer Fairlight und Emulator 1-Synthesizer unterstützt wurde. Anders als Kraftwerk, die in ihrer Rolle als Sample-Pioniere bestehende Alltagsgeräusche in die Kompositionen integrierten, machte man sich die Vorgehensweise von heutigen Industrial-Veteranen wie Throbbing Gristle oder SPK zum Vorbild und samplete nicht einfach bestehende Klänge aus der Umwelt. Wie junge Forscher produzierten sie eigenhändig ungewöhnliche Geräusche, deren Herkunft nicht eindeutig war und welche sich anschließend am Computer beliebig verändern ließen. Jones’ Pläne für das sich im Entstehungsprozeß befindliche Album schlossen neben dem häufigen Verlassen hörbar kommerzieller Pop-Pfade auch die Verrohung des Gesamtbildes ein, der im musikalischen Untergrund erblühte egriff von einer Stilrichtung “Industrial” sollte auf das Album mit dem passenden Namen “Construction Time Again” anwendbar sein un jedes Bandmitglied begab sich mit nicht gekanntem Enthusiasmus auf die fieberhafte Suche nach verwendbarem Soundmaterial. Die Einrichtung der Garden Studios im Osten Londons wurde der Verwendung vornehmlich metallischer Klänge angepaßt und zum Teil gefliest. Die geschickte Positionierung der Mikros brachte unnatürliche Hall-Effekte dazu, die die weitere Verarbeitung der auf Rangierbahnhöfen oder Schrottplätzen eingesammelten Klänge unterstützen. Bestes Beispiel für die Einbindung dieser neuen Elemente ist das zu 90 Prozent aus metallischen Samples aufgebaute “Pipeline”. Viele dieser Klänge hatten bereits vor ihrer Verwendung für den Song eine passende Gestalt, weitere Effekte eintstanden lediglich durch unterschiedliche Distanzen des Mikros zum Medium bei ihrer Aufnahme und deren anschließende Überlagerung. Martins Gesang wurde unter einer Eisenbahnbrücke aufgenommen, während sich im Hintergrund Stahl auf Stahl bewegte.

Für den Mix des Albums mietete man die großzügig ausgestatteten und kostengünstigen Hansa-Studio direkt an der Berliner Mauer und begab sich in die Fußstapfen von David Bowie und Iggy Pop, die hier einige ihrer wichtigsten Werke einspielten. Das klaustrophobische und leicht anarchistische Flair der geteilten Stadt schlug sich auf die Gemüter der Engländer nieder, was sich vorerst rein äußerlich durch das häuflige Tragen von schwarzer Kleidung bemerkbar machte. Doch auch der freizügige Lebensstil vieler Berliner und nicht bestehende Sperrstunden für Bars und Diskotheken nahmen Einfluß auf ihrer Presönlichkeiten und Arbeitsroutinen. Während für Fletcher, Gore und Wilder fernab ihrer Heimat das exzessive Feiern und Sammeln bisher vergönnter Erfahrungen an erster Stelle stand, gab sich Gahan, der als einziger diese Lebensphase bereits hinter sich hatte, zunehmend erwachsener und manchmal verständnislos gegenüber den nächtlichen Ausschweifungen seiner Kollegen. Wenn Gahan, zurückgelassen im Hotel, seine in England gebliebene Freundin Joanne vermißte, vergnügte sich der sonst eher schuchterne Gore mit seiner neuen Liebelei, der Berlinerin Christina, und ließ auch sonst keine Erfahrung unangetastet. Die Rieze dieser Stadt schienen eine so anziehende Wirkung auf ihn gehabt zu haben, daß er nur kurze Zeit später England verließ und sich hier sein neues Zuhause einrichtete.

Am 11. Juli erschien die Vorabsingle “Everything Counts” und diese kann durchaus als Wendepunkt in Depeche Modes Karriere betrachtet werden. Ein aussagekräftiger Text, eine eingängige Melodie und viele neue Elemente mit Sampleursprung präsentierten weitere musikalische Reife und einen zukünftigen Evergreen der Bandgeschichte. Auch der erfolg in Zahlen kam zurück: Mit einem sechsten Platz in England und hervorragender Position in den deutschen Charts bekamen sie endlich wieder eindeutige Resonanzen auf eine Menge Arbeit und Kreativität, die sich in dem neuen Titel hörbar widerspiegelten. Einen guten Monat später erreichte “Construction Time Again” den Plattenhandel und kurz darauf wiederum den sechsten Platz. Die Presse meldete gleichzeitig Anerkennung und Erstaunen über den deutlichen qualitativen Fortschritt.

Sieben der neun Titel stammen aus Gores Feder. “Two Minute Warning” und “The Landscape Is Changing” schrieb Alan Wilder, der den Chef-Songwriter zuvor auch beim Schreiben der B-Seite von “Everything Counts” unterstütze. So entwickelte sich “Work Hard” zu einem tanzbaren, samplereich arrangierten Song, dessen Text anscheinend auf die hammernden und hupenden Hintergrundgeräusche zugeschnitten wurde oder anders herum. Wie ein roter Faden zieht sich die Thematik Arbeit / Alltag / Umwelt auch durch das Album und dessen vielen kritischen Textzeilen hatte die Band beinahe zu ‘verdanken’, in die linke Ecke gedrängt zu werden, obwohl sie sich nie in der Nähe irgendeiner politischen Idee sehen wollte. Martin Gore äußerte sich damals zu seinen Lyrics: “Ich verliere meine Illusionen über vile Dinge. Was ich einst großartig fand, ist für mich inzwischen, bedeutungslos. Möglicherweise bin ich aber einfach nur ein sehr pessimistischer Mensch”. Auch die Zufriedenheit über die musikalische Grunidee wurde später nicht mehr vollstänig geteilt. Gahan: “Vielleicht haben wir zu viele Samples verwendet, in musikalischer Hinsicht klingt einiges zu aufgesetzt.” Trotzdem gelang es ihnen, ihr bislang facettenreichstes Album auf hohem produktionstechnischem Niveau vorzulegen. “Love In Itself”, die zweite Single, wird vor allem gegen Ende interessant und kompensiert durch viele Details den etwas einfallslosen Refrain, “More Than A Party” donnert gleich einem immer weiter beschleunigenden Schnellzug vorüber, “Pipeline” kommt dagegen mit ruhiger Experimentierfreude. “Two Minute Warning” und “The Lanscape Is Changing” sind schillernde Popsongs, “Told You So” ist ein eingängiges Uptempo-Stock, welches sich auch als Single angeboten hätte und mit der Pop-Ballade “And Then…”, die erstmalig den Einsatz einer Gitarre vernehmen läßt, klingt das Album aus.

Ingesamt 41 Konzerte folgten, vor allem die Tour durch Deutschland entwickelt sich zum Triumphzug. Hier wurden Depeche Mode dank des Erfolges der beiden letzten Singles schnell zu Superstars und Lieblingen der Musikmagazine mit junger Leserschaft. Pop Rocky arrangierte einen ersten “Startreff” – Gewinn zwischen Band und Leser, nachdem es in einer Überschrift hieß: “Depeche Mode – Die glorreichen Vier”.
 

demoderus

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Kapitel 4
The Glorious 4


Das Jahr 1984 wird sich zum bis dahin ereignisreichsten entwickeln und das Fundament festigen, auf dem sich der zukünftige Erfolg aufbaut. Das wohl wichtigste Element dabei war der Single-Glücksgriff “People Are People”. Kurz nach einer kleinen Tour durch Sudeuropa am 12. Marz erschienen, übertraf der Erfolg des Titels die abenteuerlichsten Träume von Band und Label. Mehr also 500.000 Exemplare gingen allein in Deutschland über die Ladentische und sorgten drei Wochen lang für die Nummer 1 der Verkaufscharts. In England erreichte der Song Platz vier und er verfehlte nur knapp den Einstieg in die amerikanischen Top 10. Mit der Anonymität in Berlin, dessen Hansa-Studios erneut die zweite Heimat Depeche Modes darstellten, war es schlagartig vorbei. Hysterische Fans begleiteten fortan jeder ihrer Ausflüge und die gesamte Republik war imstande, den eingängigen Refrain mitzusingen, nachdem “People Are People” als offizielle Hintergrundmusik bei der Übertragung der Sommerspiele eigesetzt wurde. Die Thematik des Textes paßte, bei der Eintstehung nicht enkalkuliert, exakt zur olympischen Grundidee: Die Verständigung und Bleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Glauben und damit ein Song gegen den Krieg, formuliert von Martin Gore in einem einfachen lyrischen Fluß. Verbunden mit harter Instrumentierung, deatilverliebten Sounds und Samplefragmenten im Stile der direkten Vorgänger war dieser Hit zugleich discotauglich und Stoff für nachdenkliche Stunden allein. Die Maxi-Single bot in verschiedenen Auflagen für damalige Verhältnisse irre Remixversionen (“Are People People?”) und mit “In Your Memory” eine von Depeche Modes besseren B-Seiten dieser Zeit. Allein dem dazugehörigen Videoclip könnte man charakterliche Schwäche unterstellen, weniger de Idee dahinter, aber ihrer peinlichen Umsetzung. Zu sehen sind vier milchgesichtige Kerle, die das englische Kriegsschiff HMS Belfast wie ein Instrument benutzen. Doch zwischen ihren Aktionen im Bild un den zu hörenden Geräuschen scheint eine gewisse Diskrepanz zu herrschen. Die Bedeutung von Musikvideos für den Erfolg einer Single war noch minimal und so wurden Depeche Mode der Inbegriff einer modernen Popband, die mit Bergen von Lob, Anerkennung und Fanpost überhäuft wurde.

Als die Arbeiten am vierten Studioalbum “Some Great Reward” anliefen, gestaltete sich das bandinterne Miteinander rücksichtsvoller und produktiver als je zuvor. Schon im Vorfeld wurde weiter an Konzepten gefeilt, wie sich endlich das von der Press angedichtete Image einer Band für Teenies ablegen lassen könnte. Markantere Züge im Soundbild, das vermehrte Tragen schwarzer Lederkluft oder im Falle des Songschreibers eine provozierende Gratwanderung zwischen augenscheinlicher Tunte und exzentrischem Mädchenschwarm beziehungsweise das zur Schau Stellen unbekleideter Körperteile be vielen Backstage- oder Privatparties, boten sich an. Vorerst erzielte dieser visuelle Wandel nicht die gewünschte Wirkung, anstelle von Respekt folgte der Spott und Gore sexuelle Gesinnung war für viele zeitweilig interessanter als seine Songs. Es verdichteten sich Gerüchte um Homo- beziehungsweise Transsexualität und diese führten bis zu seinem erfundenen Ausstieg, um Mick Jahher bei den Rolling Stones zu ersetzen. Zum Glück wurde in die Aufklärung solcher Unterstellungen weitaus weniger Energie gesteckt als in die Produktion des Albums.

“People Are People” blieb der einzige klar politisch interpretierbare Song, Gore verarbeitete ansonsten lediglich Erfahrungen aus seiner Berliner Zeit, emotionaler, gesellschaftlicher und sexueller Natur, nachdenklich, zweideutig und gereift: “Siebzig Prozent meiner Texte handeln von körperlicher Liebe. Sex is für mich alles andere als zweitrangig.” Mit dem Prozeß der peniblen musikalischen Formgebung wollte er indes nur wenig zu tun haben. Wenn Daniel Miller, Gareth Jones, dessen Einfluß als Produzent sich weiter vergrößerte, und Alan Wilder stundenlang an winzigen Details der Songs feilten, langweilte er sich zu Tode. Wilder beschrieb einen Arbeitsabschnitt so: “Wir brauchten ganz sieben Tage für den Mix von ‘Master And Servant’. Wir waren so ins Detail verliebt und verbohrt, daß wir den Song nicht mehr richtig hörten und dan versehentlich die Drums vergessen hatten.” Nach einem Festivalgig mit Elton John, der in einem Gespräch mit Martin Gore bereits erkannt haben soll: “Jungs, ihr habt das Zeug, Pop-Geschichte zu schreiben”, kam “Master And Servant” schließlich Ende August als elfte Single auf den Markt. Ein weiterer Bandklassiker mit unerwarteter Härte und verschleierter S/M-Thematik. Von erneuten Gerüchten und breiter Aufmerksamkeit begleitet knüpfte er mit einem zweiten Platz in Deutschland beziehungsweise neunten Platz im Vereinigten Königreich beinahe nahtlos an den Erfolg des Vorgängers an. “Master And Servant” behandelt die Unterwürfigkeit und Machtlosigkeit vieler Menschen, sei es im Privatleben, am Arbeitsplatz oder under politischem Zwang.

Am 24. September, einen guten Monat später, erschien mit “Some Great Reward” ein Glanzstück der elektronischen Musikgeschichte. Neun Songs auf gleichbleibend hohem Niveau, im Rahmen der eigenen Grenzen facettenreich, aufrichtig, melodiös, gesanglich weit fortgeschritten und gänzlich eigenständig, ist es von zeitlosem Anspruch und steriler Schönheit. Neben den auffälligen, wuchtig arrangierten Electrowalzen “Something To Do”, “Stories Of Old”, “If You Want” oder eben “Master And Servant” begeistern die leichteren “Lie To Me” und vor allem “Blasphemous Rumours” mit ihrer Atmosphäre und ganz individuell abgestimmten Details, die sich aufgrund ihrer Dichte und entgegen konventioneller Hörgewohnheiten zum Teil erst nach vielfachem Hören vollständig erschließen ließen. Das von Martin Gore gesungene “Somebody” ist intonierter Liebeskummer, ließ bei vielen Jugendlichen der Achtziger die Tränen fließen und wird noch viele Jahre später die Stadien der Welt in warmes Licht hüllen, wenn Gore steif am Bühnenrand steht, nur den Arm kreisen läßt und Tausende Feuerzeuge und Kerzen im Publikum brennen, wobei jedes seiner Worte mitgesungen wird und die vielen Breaks mit tosendem Beifall gefüllt werden.

Der Erfolg dieses Albums war vorhersehbar und bestätigte sich mit Top 10-Plazierungen in vielen europäischen Ländern sowie dem Lob der Musikpresse. Die mit 29 Konzerten bisher umfangreichste Tournee schloß sich direkt an und brachte neben grenzenloser Begeisterung auch eine Schocksituation: Während des Konzertes in der Böblinger Sporthalle zündete einer der 6.000 Besucher eine CS-Tränengasbombe, verursachte Panik und damit die Verletzung einiger Fans, deren Zahl in unterschiedlichen Quellen von 3 bis 26 reicht. Das für den nächsten Tag geplante Konzert in Frankfurt mußte daraufhin in die Offenbacher Städthalle verlegt werden. Die Tagespresse berichtete: “Die Leitung der Alten Oper hatte am Vormittag beschlossen, das ausverkaufte Konzert nicht stattfinden zu lassen. Der Grund: Angst vor ähnlichen Zwischenfällen wie am Abend zuvor in der Sporthalle Böblingen. Dort hatte kurz vor Konzertschluß ein bislang noch Unbekannter eine Tranengasbombe ins Publikum geworfen. […] In der Darstellung der Frankfurter Alten Oper handelte es sich allerdings um ‘Polit-Chaoten’ und eine Giftgasbombe sowie 15 Verletzte.” Wie sich später herausstellte, war der Täter ein ehemaliger Bundeswehrsoldat mit offesichtlich krankem Sinn für Humor, denn er hielt alles für einen Spaß. Dieser Zwischenfall hatte verschärfte Einlaßkontrollen zur Folge, bei denen auch hin und wieder Waffen auftauchten, blieb jedoch einmalig in Depeche Modes Karrier. Die übrigen Konzerte dieser Tour waren, trotz wiederholter Pröbeleien mit einigen mittelschweren körperlichen Übergriffen rechtsextremer Depeche Mode-Hasser, die in den Einlaß begehrenden Fans anscheinend politische Feinde sahen oder denen ganz einfach deren auffällige Outfits zuwider waren, sehr erfolgreich.

Der aufwensig gestaltete Bühnenbau mit vielen optischen Effekten bot ausreichend Platz für den extrovertierten Frontmann Dave Gahan, dessen körperbetonte Performance mit seltsamen Tanzeinlagen später zur Legend avancieren wird und unter der Bezeichnung ‘Dave-Dancing’ als Highlight vieler Fanparties seine zum Teil perfekten Imitatoren auf den Plan ruft. Was unter Fans als äußerst erotische oder zumindest nachahmenswerte Darbietung des Sängers gilt, sah der New Musical Express als einen “kurzhaarigen, frisch aussehenden Wichtelmann, der auf der Bühne herumhopst und die Fans fröhlich zum Mitsingen anregt, während der Rest der Band mit Pokergesichtern auf ihren Synthies herumhackt.” Spätestens 1984 war auch der NME in den allgemeinen Tenor der britischen Presse eingestimmt, was die Band aber kaum noch negativ berührte. Die besten Resonanzen erhielten Depeche Mode inzwischen sowieso aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland.

Nachdem im Herbst mit dem kontroversem, zu Spekulationen und Empörung über einen mißverstandenen, gotteslästernden Gore führenden “Blasphemous Rumours” und mit “Somebody” zwei der überragenden Albumsongs als Doppel-Single ausgekoppelt wurden, bricht die Band erneut zu einer Tour auf, die mit ihren 25 Konzerten auch kleinere europäische Länder breücksichtigt und in Deutschland unter anderem die Berliner Deutschlandhalle oder Essener Gruga-Halle Kopf stehen läßt. Beendet wird das Tour-Jahr in Frankreich, ein Konzert kurz vor Weihnachten im Pariser Omnisport de Bercy, einer Location, die in Depeche Modes späterer Laufbahn noch zu großem Ruhm kommen wird, eingeschlossen.
 

demoderus

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Ein Zeitdokument der Tour zu “Some Great Reward” ist das offizielle Kaufvideo “The World We Live In And Live In Hamburg” [Mute 1985], welches trotz blasser Farben und leichter Audio-Nachbereitung die zwei gefeierten Hamburger Konzerte von 1984 annähernd authentisch festhält und ähnlich einer Best-Of Kopplung die Live-Highlights aus vier Jahren gemeinsamen Schaffens vereint. Damit nicht auffiel, daß es sich hierbei um einen Zusammenschnitt handelte, trug die Bands am 9. und 14. Dezember jeweils die selbe Kleidung.

Auch wenn das folgende Jahr nicht mit einer neuen Albumveröffentlichung aufwarten konnte – 1985 bot sich Depeche Mode die Möglichkeit verstärkter Präsenz außerhalb Europas und festigte vor allem in Japan und den USA ihren jüngst durch “People Are People” gewonnenen Erfolg. Innerhalb einer Stunde war ihre angekündigte Show im Palladium Hollywood ausverkauft und Rochard Blades vom Radiosender K-ROQ aus Los Angeles erinnert sich: “Ihr Durchbruch kam, als sie im Palladium spielten und eine großartige Show gaben. Danach gab es so viel Mundpropaganda, daß sie bei ihrer Rückkehr im Forum zwei, ausverkaufte Konzerte mit jewelis 17.000 Zuhörern hatten, was Duran Duran nicht einmal be einem Konzert schafften.” Radio K-ROQ spielte und spielt in den USA eine große Rolle für Depeche Mode. Seit ihren Anfangstagen genießen sie den Support des Senders und zählen zu den Lieblingsbands der Millionen von Stammhörer. K-ROQ präsentierte als einer der wenigen Sender exklusive Shows, die zur Übertragung freigegeben wurden.

Im Anschluß an die Konzerte in Nordamerika erschien via Sire Records für die USA die Hit-Compilation “People Are People”, während Depeche Mode als Superstars in Europa mit der nächsten Single “Shake The Disease”, einer schwermütigen Ballade mit ergreifendem Refrain, ein weiteres Mal die Charts (Deutschland: Platz 4) enterten. Es folgten weitere Auftritte, darunter auch ein Festivalgig mit Culture Club, The Cure, Talk Talk und The Clash in Athen vor 80.000 Zuschauern, hauptsächlich von der Regierung gesponsert. Vor den Toren des Stadions gab es Krawalle, weil rund 200 Gäste, wehrscheinlich Fans von The Clash, nicht gewillt waren, den minimalen Eintrittspreis von umgerechnet etwas unter einem Euro zu zahlen, und Gerüchten zufolge soll Dave Gahan auf offener Straße einen Faustschlag ins Gesicht bekommen haben. Trotz dieser unschönen Erfahrung beehrten Depeche Mode noch in diesem Jahr erstmalig ehemalige Ostblock-Staaten, wo sie aufgrund des mehr oder weniger einseitigen kulturellen Angebotes auf extreme Fans stießen und die größten Hallen von Budapest und Warschau füllten. Der totalen Erschöpfung nahe, benötigte die Band nach mehr als 80 Konzerten in acht Monaten dringend eine Pause mit Zeit für Freunde, Familie und Privatleben. Pläne für eine weitere Albumproduktion wurden auf frühestens Spätherbst verschoben.

Den Gedanken, die Band komplett zu verlassen, mitsichtragend, heiratete Gahan am 4. August 1985 in kleinem Rahmen (Vince Clarke und Alison Moyet sollen sich unter den Gästen befunden haben) und unter komplettem Ausschluß der Öffentlichkeit seine Jugendliebe Joanne Fox, und er hinterließ nicht nur enttäuschte Moskauer, die die Band an diesem Tag live erleben sollten, sondern bricht vielen weiblichen Fans das Herz, nachdem BRAVO als erstes deutsches Magazin diese Nachricht verbreitet: “Ich kenne Jo schon seit mehr als sieben Jahren”, erklärte der Sänger in einem Interview, “seit zweieinhalb Jahren leben wir zusammen und eines morgens wachte ich auf und fragte sie, ob wir nicht heiraten sollten und sie sagte einfach ja.” Er lachte und fuhr fort: “Jo ist die einzige Frau, mit der ich zusammenleben kann. Bei ihr muß ich mich nicht verstellen, nicht dauernd den Star raushängen lassen und kann auch mal ausflippen.”

Fletcher und seine Freundin Grainne bezogen gemeinsam eine Wohnung in London, welche recht speißig eingerichtet gewesen sein soll, Gore führte indes seinen ausgeprägten neuen Lebensstil ohne geistige Schranken und Rücksicht auf Benimmregeln und besuchte Fletch, seinen nach eigenen Angaben “besten Kumpel zum Ausgehen” regelmäßig, um mit ihm durch die Kneipen zu ziehen. Der unauffällige Wilder verbrachte die Zeit mit seiner Freundin Jeri, mit der er zu diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren eine Wohnung in London teilte.

An ausgiebige Erholung war dennoch kaum zu denken, denn nur wenige Wochen später traf man sich in den Genetic Studios von Martin Rushent zu London, der hier sonst hauptsächlich die Alben von Human League produzierte, und begann die Aufnahmen für die nächste Single “It’s Called A Heart”. Objektive betrachtet war dies ein recht schwacher Song, aber sehr modern, tanzbar und mit Stilmitten gefüttert, die noch in den ausklingenden Neunzigern von vielen Synthpop-Combos kopiert wurden. Vor allem die Maxi-Version kam jedoch bei den Fans an und mit “Fly On The Windscreen befand sich ein weiterer Titel auf der Single, der die bedrückende Atmosphäre, mit der das kommende Studioalbum aufwarten wird, ankündigyr und zum besten gezählt werden muß, was Depeche Mode in den Achtziger Jahren produzierten. Der Videoclip zu “It’s Called A Heart” zeigt die perfekte gestylte Band und einen Martin Gore in Frauenkleidern und mit Tonnen von Schminke versehen in einem düsteren Maisfeld, verfehlt jedoch die mystische Stimmung einer damals populären Stephen King-Verfilmung ähnlicher Kulisse.

Auskopplungen der Jahre zuvor vereint Depeche Modes erste Compilation “The Singles 81-85”. 15 Titel an der Zahl, machte dieses Album deutlich, was die Band trotz heftiger Rückschläge, Clarkes Ausstieg und das schwache Abschneiden von “A Broken Frame”, in so kurzer Zeit erreicht hatte. Jede Single wurde erfolgreich, zwar in unterschiedlichen Dimensionen, aber von einer gewissen Kontinuität geprägt, und selbst wenn man anschließend getrennter Wege gegangen wäre, wonach es längere Zeit aussah, hätte man von Depeche Mode bereits mit Sicherheit eines nicht behaupten können: Sie seien eine Eintagsfliege gewesen. “Construction Time Again” und “Some Great Reward” hatten längst die Verkaufszahlen für den LP-Goldstatus von je 250.000 Stück überschritten und auch die Single-Kopplung erreichte Spitzenplätze. Doch Dave Gahan erklärt: “Wenn es je so aussah, als würde die Band sich trennen, dann war das Ende 1985. Ständig gab es Krach zwischen uns und wir konnten uns nicht darüber einigen, wie es nach, “Some Great Reward” weitergehen sollte. Wie wir diese Periode mit heilem Verstand und einer intakten Band überstehen konnten, ist mir noch heute unerklärlich.” Das Hauptproblem bestand darin, musikalisch wieder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Dave und Martin wollten eine riskante Neufindung, härtere und düsterere Depeche Mode, hatten aber kaum konkrete Vorstellungen und so tauchte der verstörte Martin Gore für mehrere Tage im norddeutschen Erfde bei der Familie Frenzen, die ihn als Austauschschüler einst beherbergt hatte, ab. Unter deutschen Fans verbreitete sich die Information seiner Anwesenheit schnell und aus der erhofften Erholung wurde bald die Flucht zurück nach England.

Die Spannungen pflanzten sich fort, nachdem auf Daniel Millers Geheiß die Arbeiten für das nächste Album in einer viermonatigen Dauersession ohne Unterbrechung ablaufen sollten. Ein zeitweiliges Unheil war nicht abzuwenden, doch was Druck und Depression an kreativer Energie freisetzten können, zeigt das kommende Jahr mit einem emotionalen Album in bahnbrechender, elektronischer Perfektion: “Black Celebration”.
 

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Kapitel 5
A Question Of Style


Wie beim letzten Studioalbum “Some Great Reward” begann die Arbeit an “Black Celebration” in London und wurde schließlich in Berlin fortgeführt. Gareth Jones wirkte nun bereits zum dritten Mal als Co-Produzent mit. “Eigentlich wollten wir f:ur die Aufnahmen in ein anderes Studio, doch als Elektronik-Band bauen wir f:ur eine Produktion fast alle Instrumente im Kontrollraum auf und das Hansa-Studio hat einen sehr großen”, berichtet Martin Gore nachdem das Album fertiggestellt war einer Berliner Stadtzeitung. “Wir haben uns zum Beispiel in Paris umgesehen, aber nichts entsprach unseren Vorstellungen und Bedürfnissen. Eines ist aber sicher: Die nächste Produktion findet nicht wieder in Berlin statt. Wir brauchen eine räumliche Veränderung, ich kann kein einziges Mal mehr diesen Fahrstuhl betreten.” Zu ihrem Equipment zählten mittlerweile die besten und teuersten Geräte, die der Markt zu bieten hatte. Neben Synclavier und Fairlight-Computer brachten sie jeden erdenklichen Synthesizer und jedes Effektgerät mit zum Feinschliff nach Berlin. Alan Wilder beschrieb den eingespielten Ablauf bei der Produktion so: “Wie ein Maler, der mit ein paar Pinselstrichen auf der Leinwand beginnt, erstellen wir anfangs eine Soundcollage. Aus diese akustischen Puzzle wird dan durch Ausdünnen und Verfremden der endgültige Klangteppich herausgearbeitet, auf dem Martin anschließend seine Melodien und Texte entwirft. Daves Stimme kommt dann meistens erst in der letzten Phase eines Songs hinzu.” Diese Methode ist natürlich stark vereinfacht dargestellt und entspricht eher dem für Musiker wie Wilder optimalen Weg. Tatsächlich existieren die Texte häufig schon vorher und Martin Gore hat zumindest eine Vorstellung von der Songmelodie, wie auf Bootlegs aufgetauchte Aufnahmen von Demotapes, die im Studio als Vorlage dienten, beweisen. Pressesprecher Chris Carr hatte auch einen anderen Eindruck vom Studioalltag: “Im Kontrollraum bei Hansa wurde eine Unmenge Haschisch verqaulmt, aber ich glaube nicht, daß dies großen Einfluß auf die Aufnahmen hatte. Natürlich herrschte eine besondere Atmosphäre im Studio und vielleicht ist davon auch etwas in die Musik eingeflossen.” Millers Vorschlag einer mehrmonatigen Dauersession schien sich anfangs als besonders produktiv darzustellen. “Vielleicht hat die Band gegen Ende an Klaustrophobie gelitten”, erklärte Carr, “ aber dennoch wollten die Leute das Studio gar nicht mehr verlassen, weil sie so daran gewöhnt waren, zusammen zu plaudern und zo rauchen.”

Die Aufgaben waren längst nicht mehr so klar verteilt wie bei früheren Produktionen. Dave und Fletch bestanden auf verstärkte Umsetzung ihrer eigenen Ideen und vor allem Alan hat sich in den letzten Jahren mehr als nur Basiswissen eines Produzenten angeeignet und es kam häufiger zu Unstimmigkeiten unter den Bandmitgliedern oder zwischen Band und Produzent Jones. Als weiter verkomplizierend kam hinzu, daß sich der Songschrieber selbst im unklaren über die weitere Formgebung seiner Songs war. “Nichts klang mehr nach einer typischen Pop-Platte und wir fragten uns, ob wir tatsächlich die richtige Richtung einschlugen, ob das überhaupt etwas war, was Depeche Mode machen sollten. Jeden Tag waren wir zusammen und kamen uns immer häufiger gegenseitig in die Quere”, erinnert sich später Daniel Miller, der bei den Vorgängeralben häufig das Ruder übernahm, inzwischen jedoch der an Erfahrung gereiften Band die wichtigen Entscheidungen überließ. Einem schnellen Fortschreiten den Produktion war dies zunächst alles andere als dienlich, stärkte jedoch das Selbstwertgefühl der Band und mit der Zeit floß viel von der geladenen Atmosphäre des Studios und der tristen Außenwelt vor den Fenstern, an die sich die Berliner Mauer mit ihren Wachtürmen beinahe anlehnte, ein. So manchen grandiosen Einfall bei der Soundfindung h:atte es unter normalen Umständen nie gegeben, wie zum Beispiel die Distanzaufnahme von im darunter liegenden Studio fabrizierter Sounds in immenser Lautstärkte. “All das muß den Inhaber des Cafés im Erdgeschoß unglaublich genervt haben”, meint Wilder. “Drei Tage lang hatte er die donnernden Geräusche über seinem Kopf ertragen müssen, etwa so, als fände direkt vor seinem Ohr eine Marschausbildung von Rekruten statt. Gott allein weiß, was er aus Rache in unser Essen getan hat.”

Neben Kombinationssounds von Stimmen und metallischen Klängen fanden vermehrt Gitarrenklänge Verwendung, die jedoch nicht nur direkt von konventionellen Instrumenten abgesamplet wurden. So brachte das Anschlagen einer Sprungfeder mit eintsprechender Nachbereitung scheppernde, gitarrenähnliche Sounds, und Gitarrenverstärker dienten der Modulierung von Klopfgeräuschen, die auf einem Staubsaugerschlauch erzeugt wurden.

Trotz aller Innovation kam man bald überein, daß ein derartig schleppendes Vorankommen unhaltbar geworden war, wobei Fertigstellungstermine längst überschritten wurden. Der Druck, der längst zum klaustrophobischen Dauerzustand geworden war und zweifelsohne weite Teile des Albums mit beklemmenden Passagen prägte, wurde nochmals verstärkt und mit reichlich Verspätung konnte der Vorbote “Stripped” am 10. Februar 1986 auf die wartende Fangemeinde losgelassen werden. Mit diesem melodiebetonten Song bewegten sich Depeche Mode im musikalischen Niemandsland zwischen schwermütiger, organischer Pop-Ballade und mechanischer Härte mit eindringlichem, kehligem Gesang. Diesen stilistischen Grenzgang entdeckt man auch in vielen ihrer späteren Titel, die Komponenten aus zwei Welten verbinden und nicht selten Depeche Modes packendste, vielleicht sogar beste Momente beschert. Während Bands mit ähnlichen Ursprung entweder nach wie vor federleichten Discosound produzierten oder sich als Rocker zu profilieren versuchten, haben Depeche Mode den schweren Schritt heraus aus dem kommerziellen Einerlei gewagt. Alle ihrer negativen Befürchtungen zerstreuten sich, als die Single drei Wochen später den vierten Rang der deutschen Charts erreichte. Auch der Text kurbelte einmal mehr die Spekulationen über seine Bedeutung an, und da im zugehörigen Video ein Auto mit Vorschlaghämmern bearbeitet wird, kam der Vorwurf der Gewaltverherrlichung dazu. “But Not Tonight”, der zweite Song auf dem verschiedenfarbigen Vinyl (die deutsche Erstauflage war zum Beispiel rot), lehnt sich noch eher an den Stil der Singles aus dem Vorjahr an und wird in den USA, weitgehend unbeachtet, als A-Seite veröffentlicht. Und so war auch der Videoclip zur US-exklusiven Single selbst vielen extremen Fans mit ausgeprägter Sammelleidenschaft fremd und seine weltweite Veröfftentlichung auf der DVD-Neuauflage von der Clipkopplung “The Videos 86-98” fast 17 Jahre nach dem Dreh ein verspäteres Großereignis.

Am 17. März wurde “Black Celebration” an die Plattenläden ausgeliefert und nimmt, am Beispiel der Single, direkten Kurs auf die Spitzenplätze der Hitparaden bis auf Rang zwei. Konträr zu seinem Titel und den davon ausgehenden Stimmungen handelt es nach Angaben des Songwriters nicht von schwarzer Magie, wie zunächst von Musikpresse und Fans gemutmaßt wird: “Es geht eigentlich darum, daß den meisten Menschen die Gründe zur Freude fehlen. Jeden Tag nach der Arbeit gehen sie in die Kneipe und ertränken ihr Sorgen. Sie feiern das Ende eines weiteren schwarzen Tages. Ich finde es tragisch, daß man den Ausgleich oft nur durch trinken finden kann, obwohl das nicht unnatürlich ist. Wir alle machen das schließlich Tag für Tag. Ich bin ein ziemlich pessimistischer Mensch und meine eigene Langeweile wollte ich mit der Musik zum Ausdruck bringen. Wenn mann das mit absurden Extremen ausdrücken will, entspricht dies nicht dem wirklichen Leben. Weder das Leben ist extrem, noch wir oder unsere Musik. Also betrachte ich unsere Musik einfach als Liebe, Sex und Trinken gegen die Langeweile des Lebens”. Ob die mehrdeutigen Texte und Titel nun immer richtig beim Publikum angekommen sind oder nicht, Martin Gore schrieb für die Gefühlswelt einer ganzen Jugendgeneration. Man fand sich zusammen und fühlte sich verstanden. Die Musik von Depeche Mode und der Austausch mit Gleichgesinnten brachte und bringt das Gefühl von Geborgenheit, welches der Alltag häufig vermissen läßt. Langsam entstand unter Fans ein dichtes Netzwerk, man entwickelte seine eigene Szene, wenn nicht sogar Randgruppe, und die anhaltende Treue wurde zur unbedingten Selbstverständlichkeit. Es wurde bereits mehrfach versucht, diesem einzigartigen Phänomen, einem Fankult in seiner extremsten Form, auf den Grund zu gehen. Eine umfassende, logische Erklärung dafür gibt es dennoch bis heute nicht und soll auch nur Teilgegenstand dieser Biographie sein.
 

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Martin Gores Worte über “Black Celebration” beschreiben zum Teil, was die meisten Fans allgemein auch auf sich oder ihre Empfindungen beim Hören von Depeche Modes Musik anwenden könnten: “Ich weiß, daß die Leute in England uns für pessimistisch oder manisch-depressiv halten, so sehen wir uns aber selbst nicht. Wir versuchen nur, Gefühle mit unserer Musik zu vermitteln, Wärme und Realismus. Wir sind der analysiert wird als in typischer Chart-Musik, wo oberflächlich alles besser und schöner dargestellt wird. Wir cersuchen, den Massen eine ganz andere Form der Popmusik anzubieten.” Intensiver denn je und abgesehen von einigen Passagen auf den späteren Werken “Songs Of Faith And Devotion” (1993) und “Ultra” (1997) spürt man diese Melancholie oder Traurigkeit nie wieder in diesem Ausmaß. Schon der überdurchschnittlich große Anteil an Balladen, vorrangig von Martin Gore gesungen, ist auffällig. Eine davon ist die nächste Singleauskopplung “A Question Of Lust”. Wenn man einmal “Somebody” als beinahe gleichberechtigten Singletrack auf “Blasphemous Rumours” unberücksichtigt läßt, ist dies die erste Single, die Gore am Mikrofon präsentierte, deren Erfolg an den Vorgängern gemessen indes relativ bescheiden ausfiel. Mit seinem verbittert-romantischen Text, wunderschöner Melodie und kontrastbildender Begleitung durch bizarre Hintergrundgeräusche aus Kreischen und unnatürlichen Percussions bleibt dieser Song ein Ohrwurm, dessen man niemels überdrüssig wird.

“Sometimes”, “It Doesn’t Matter Two”, “World Full Of Nothing” und “Dressed In Black” sind weitere balladeske Songs des Albums, häufig mit schwerpunktbildender Pianobegleitung und bis auf “Dressed In Black” von Gore intoniert Gahans Stimme hört man, rauher als früher, beim Titelsong und dem rhythmusorientierten “Fly On The Windscreen”, in seiner perfekten Final Version, dem politikverdrossenen “New Dress” oder der dritten und letzten Single “A Question Of Time”. Diese erschien zum Tourende am 11. August, stieß wieder auf offenere Ohren und brachte ein Novum mit sich: Anton Corbijn als Video-Regisseur.

Die ausgedehnte Worldtour begann bereits im zweiten Quartal des Jahres mit 13 Konzerten auf den Britischen Inseln und führte mit aufblasbarem Bühnenbild, wirkungsvoll durch fluoreszierende Farben und zusätzliche Monitor-Installationen, erstmals durch die größten Hallen des Königreiches wie der Londoner Wembley-Arena an zwei Abenden hintereinander. Merklich war der zunehmende Anteil an Durchschnittspublikum: Zu gestylten und geschminkten Fans im bandnahen Düsterlook kamen hauptsächlich junge Männer jenseits der erlangten Volljährigkeit, aber vor allem auf dem europäischen Festland auch Fans aus der Metal- und Gothic-Szene, die sich weder jer musikalischen Wirkung Depeche Modes noch dem Charisma des Frontmanns entziehen konnten. Mit nicht wenig Erschrecken wurde schon damals die anziehende Wirkung Dave Gahans und seine macht über das Publikum bei Konzerten bemerkt. Jeder Ton, jede Geste fand ein Echo, eine Aufforderung zum Mitsingen oder –klatschen war unnötig, was im Laufe der Jahre in einer Art Massenhypnose gipfeln wird. Chris Carr beschrieb dies so: “Dave hatte das Publikum voll im Griff und wenn er die Leute angestachelt hätte, die Arena mal so richtig auseinanderzunehmen, hätten die das glatt gemacht. Wo ich doch gerade aus Berlin zurückgekommen war, erinnerte mich das an eine Kundgebung in Deutschland… diese Art von Kontrolle über die Menschen.” Selbst Robert Smith von The Cure outete sich bald als Fan: “Ihr innovativer Gebrauch ungewöhnlicher Sounds, ihre oft merkwürdige Mischung von emotionalen Texten mit musikalischer Präzision und ihr unverwechselbares visuelles Image haben sie zu einer ganz speziellen Gruppe gemacht. Eine einzigartige Band.”

Seit 1986 existiert ein von Band und Label unterschribenes Paper, welches wenigstens die finanziellen Belange schriftlich festhält und im Todesfall von Daniel Miller die weitere Existenz des mittlerweile riesigen Unternehmens Depeche Modes absichert. Die Konditionen und Verpflichtungen entsprechen weiter der unkomplizierten Abmachung, die einst per Handschlag getroffen wurden: Fifty-fifty bei allen Einnahmen und Ausgaben in England, 70% zugunsten oder zulasten Depeche Modes im Ausland.

Spätestens jetzt werden auch ihre Tourneen von der wilden Rock’n’Roll-Attitüde begleitet, die schon viele Bands zu Fall brachte und den S:anger in den Neunzigern beinahe zerstören wird. Dave Gahan offenbarte dem Pressesprecher Carr schon lange vorher: “Es gibt gar keine wirklichen Rock’n’Roll-Leute mehr; Typen, die ihren Job tun, weil sie wirklich daran glauben.”

Füt Carr schien er wie besessen von der Idee, das Rockerleben in seiner ursprünglichen Form zu erhalten und das, obwohl er schon bald Gewissensbisse wegen seiner ständigen Seitensprünge bekam. Allabendliche Alkoholexzesse gehörten zum Tourleben wie die routinierten Shows – in den Stunden zuvor, dabei und danach. Eine einzige Riesenparty rollte um die Welt und sieht nur äußerst selten einen nüchternen Martin Gore auf der Bühne. Jeder Roadie wünschte sich, bei einer Tour der Briten zu arbeiten, weil sich längst herumgesprochen hatte, daß da immer die Post abging und die Crew bei Parties nie außen vor bleiben mußte. Und nicht zuletzt für die Fans wurden die Konzerte zu unvergeßlichen Erlebnissen. Auch wenn man annehmen könnte, daß Tiefgründigkeit und Ausgelassenheit einander ausschließen würden, mit Depeche Mode wird dieser Grat zu einem schmalen, sehr schmalen. Vielleicht trifft das Wort “Hingabe” am ehesten dieses Verhältnis, welches durchaus in beide Richtungen wirkt. Diese Liebe ging so weit, daß die Band manche ihrer treuesten Fans für Konzerte in den entlegensten Orten einfliegen ließ, eine beinahe unvorstellbare Tatsache.

Regelrecht absehbar war ingegen das, was die nächsten Jahre bringen werden: Depeche Mode nähren sich der “Musik für die Massen”.
 

demoderus

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Kapitel 6
Mode For The Masses


Der Titel der folgenden LP sollte “Music For The Masses” – lauten. Martin Gore hatte diesen Einfall, nachdem er in der Auslage eines Plattenladens billige Heimatmusik mit dem Sticker “Music For The Millions” entdeckte und dies gleichzeitig übel und großartig fand. Zum Namen des siebten Depeche Mode-Albums sagte er 1987: “Dieser Titel ist übrigens ironisch gemeint. Wir empfinden unsere Musik absolut nicht als massentauglich, auch wenn sie in manchen Ländern wie zum Beispiel Deutschland tatsächlich viele Menschen anzusprechen scheint. Wir standen auf ihn, weil neben Ironie auch noch Arroganz drinsteckt. Es ist ein echter Witz, denn tatsächlich kaufen nur unsere Fans die Platten.” Zu diesem Zeitpunkt wußte der Songwriter noch dicht, daß er mit diesem Titel auch gleich noch die Zukunft voraussagte und sich seine Band ein Jahr später in der ersten Liga neben den Stones und Springsteen wiederfinden würde. Die Fanschar vervielfachte sich, doch Mainstream wurde Depeche Mode nie. Bis in die Gegenwart zeigen ihr Veröffentlichungen, mit wenigen Ausnahmen, ein ganz eigenes Verhalten in den Verkaufscharts: Sofort nach Verkaufsbeginn wandern ihre Singles oder Albenin mehreren Formaten in die Regale der Fans, was eine erste, hohe Plazierung zur Folge hat. In den Wochen danach stürzen sie rasant ab und spätestens nach fünf Wochen sind sie komplett verschwunden, meistens noch bevor chartorienterte Radiostationen darauf aufmerksam wurden. Daraus erklärt sich auch der Fakt, daß die Spitzenpositionen ihrer Singles in den Verkaufscharts häufig 20 und mehr Plätze höher lagen als in den Airplaycharts.

Für die Produktion des neuen Albums wurden vorerst gänzlich neue Voraussetzungen geschaffen. Ziel war es, den Sound organischer zu gestalten, und dafür mußten ein neuer Produzent und eine neue Umgebung her. Weder Gareth Jones noch Daniel Miller nahmen an den Aufnahmen teil, statt dessen schlüpfte Alan Wilder vollständig in die Produzentenrolle und Dave Bascombe, vorher als Produzent und Mixer für Tears For Fears und Peter Gabriel tätig, stand an seiner – Seite. “Ich glaube, wir hatten zu diesem Zeitpunkt unser Kontingent an metallischen Sounds aufgebraucht. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, mit einem Hammer auf Metallrohre zu hauen”, übertrieb Wilder damals, nachdem die Vorproduktion des neuen Materials in seinem Homestudio in London abgeschlossen war. Anschließend begab man sich vorerst wieder in das angestammte Londoner Studio, später in das Parisier Guillaume-Tell-Studio und verfiel wieder in eine Routine: Tagelang war die Band unterwegs in der Stadt, um neue Sounds einzusammeln. Neben dem Zischen eines Feuerlöschers, verschiedenen Trommelsounds und dem Geräusch, welches eine hydraulische Bustür beim Schließen verursacht, wurde auch der bloße Luftzug in einem alten Akkordeon gesamplet und im letzten Fall für “I Want You Now” verwendent. “Für jede Melodie mußten wir den richtigen Sound finden, das war ein ziemlich aufwendiger Vorgang”, erklärte Bascombe. “Jeden Sound überlagerten wir mit fünf oder sechs anderen und schufen dadurch diese jenseitigen Klänge, die dem Hörer das Gefühl gaben, etwas ganz Besonderes im Ohr zu – haben. Auch die Rhythmen mußten haargenau sitzen und vor der Erfindung der Drum-Loops war dies eine sehr mühselige, langwierige Arbeit.”

“Strangelove” war einer der ersten fertigen Songs und kam am 13. April 1987, ein halbes Jahr vor Albumveröffentlichung, heraus. Vor allem in Deutschland entwickelte er sich zum Superhit (Rang 2), wurde von der Band dann aber doch für unzureichend gut befunden und für das Album noch einmal neu gemixt. Als Videoregisseur wählte man erneut den Holländer Anton Corbijn, der nach seiner glänzenden Regiearbeit für “A Question Of Time” das zweite Mal für Depeche Mode drehte und einen auffällig erotischen, leicht humorigen Film in Schwarzweiß drehte. Auffällig war auch die B-Seite der Single: “Pimpf”. Gänzlich untypisch im Vergleich zu allen Songs, die jamals unter ihren Fittichen entstanden, war “Pimpf” ein klassisch arrangiertes Instrumentalstück, das sich von leisen Pianoklängen über schwere Orgeltöne und tiefen Chorgesang zu einem vielschichtigen, orchestralen Höhepunkt schaukelt. Als Intro der kommenden Tour jagte es, bedrohlich und ohrenbetäubend in der Dunkelheit, eisige Schauer über die Rücken der Fans. Die Inspiration zu “Pimpf” soll Martin Gore bekommen haben, nachdem er Hitlers “Mein Kampf”, in dem die Rede von 10- bis 14jährigen HJ-Jungen im Dritten Reich, den “Pimpfen” ist, las und in eine Art depressiven Zustand fiel.

Auch andere Songs auf “Music For The Masses” verfügen über Orchestersounds, was sich sofort auf die Dynamik des Albums niederschlug, jedem Song eine individuelle Note gab und die Anfluge von Monotonie der letzten Alben, die nicht auffällig negativ, aber präsent war, ausschloß. An oberster Stelle stand dabei das hymnische “Never Let Me Down Again”, - vielleicht der beste Song ihrer ersten Dekade und die zweite Single aus dem Album. Ein prägnanter Drumsound, Gitarre, Streicher und Bechbasinstrumente, jeweils mehrmals überlagert und mit variierender Intensität, dazu grandioser Text und Gesang sowie ein Refrain, der Gänsehaut erzeugt. “Never Let Me Down Again” war zumindest das damalige Albumhighlight, wie auch der Chefmizer meinte: “Das war der Track, der mir am besten gefiel, ich liebte ihn einfach. Als Rhythmusgrundlage nahmen wir einen Song von Led Zeppelin mit fantastischen Drumsound. Martin fügte noch Gitarre zum Backing-Track hinzu, um dem Song eine reichere Klangfülle zu geben. Danach haben wir den Gitarrensound mit einer Menge anderer Effekte noch stark verfremdet und weitere Klänge hinzugefügt, zuletzt alles umstrukturiert, um den Refrain herauszuheben un den Track dadurch wunderbar geöffnet.” Martin Gore gestand in einem späteren Interview, daß sich das Thema dieses Songs weder um Macht in schwulen Beziehungen noch um eine augenscheinliche Reiseberichterstattung dreht sondern die Flucht vor der Realität mittels Drogen, ein zeitweiliges Hochgefühl und das böse Erwachen danach beschreibt. In Deutschland verfehlte “Never Let Me Down Again” nur knapp den Spitzenplatz der Singlecharts. Im bedrückenden Videoclip gelang Corbijn die stimmungsnahe Umsetzung des Songs, und die Bewegungen, die ungebrochen und unaufgefordert bei Konzerten von den Fans mit ihren Armen imitiert. Ein imposantes Schauspiel und zuletzt Höhepunkt der Konzerte zur “Exciter-Tour” 2001.
 

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Für das Final Mixing wählte die Band die Puk-Studios in abgelegener ländlicher Gegend Dänemarks. Im nahem Dörfchen Gjerlev gab es nur einen Supermarkt und eine Kneipe und bis zur nächsten größeren Stadt waren es rund 45 Kilometer. Optimale Voraussetzungen für die sonst übertrieben ausgehfreudige Band, denn vieles, was irgendwie von der Arbeit ablenken konnte, war nur schwer zu erreichen- mit Ausnahme von netten Mädchen, die man gern einlud. Zur Ausstattung des Studios zählten unter anderem ein über sechs Meter breites Mischpult mit unverzichtbaren 56 Kanälen, das wichtigste Sampling-Utensil Synclavier und ein Freizeitraum mit Tischtennisplatte, die vor allem von Andy Fletcher mit Begeisterung genutzt wurde. Fletche hatte sowieso nur noch wenig Einfluß auf die reine Albumproduktion. Zu unrecht wird ihm jedoch immer wieder gern die Rolle von Martin Gores Unterhalter oder Sprachrohr angedichtet, denn tatsächlich sind seine Kritiken zu fast vollendeten Songs stets von großem Wert gewesen. Er betrachtete das Material weniger als Musiker, sondern als Konsument und deshalb galt, daß, was ihm nicht gefällt, wahrscheinlich auch bei Fans keinen Anklang finden würde. So läuft es bis heute und er scheint sich nur selten getäuscht zu haben.

Im Sommer ist “Music For The Masses” preßfertig, doch im Nachinein befriedigte es nicht vollständig die Ansprüche der Band, mit Ausnahme des Sängers. Eines ist auf dem Album gelungen: Der Sound is vielschichtiger, dynamischer und wärmer geworden. Der klassische Aufbau eines Rocksongs mit Strophen und Refrains sowie eine langsame Steigerung der Songenergie (bestes Beispiel “Behind The Wheel”) ziehen sich durch jeden Song, aber das Experiment blieb oft auf der Strecke. Der Hauptgrund dafür ist in der Anlehnung an Gores Demos zu suchen, die sich gerade für dieses Album in einem fortgeschrittenen Stadium befanden und nur wenige Angriffsflächen für riskante Arrangements boten. Dies hat zwar die Arbeit insgesamt erleichtert, zunkünftig sollten die Vorlagen jedoch wieder einfacher gehalten werden, darin war man sich einig. Einen weiteren Grund suchte Alan Wilder in seinem Toningenieur: “Dave Bascombe war für uns vielleicht doch nicht so unternehmungsfreudig, wie wir ihn brauchten. Er ist ein prima Kerl und hat gut und professionell gearbeitet, aber er ist eben nicht impulsiv genug, um den Album seinen urpersönlichen Stempek aufzudrücken.” Für vollständig zufriedenstellend erachtete die Band jedoch Coverartwork und LP-Booklet. Diesen lag eine simple Idee mit großer Wirkung zugrunde: Orangefarbene Lautsprecher, abgelichtet in verschiedenen natürlichen Landschaften, waren nicht nur farblich ein scharfer Kontrast zwischen Technik und Natur, sondern auch passend zum Albumtitel und ansatzweise auch repräsentativ für den Stil der LP. Sowohl im nächsten Stagedesign wie in den drei ersten Videoclips zum Album tauchten die Lautsprecher als Symbol immer wieder auf. Zehn Titel umfaßt “Music For The Masses2, welches am 28. September 1987 erschien, die Top 10 in Großbritannien – erreichte und in Deutschland, mit der inzwischen weltweit höchsten Dichte an Fans, bis auf Platz 2 kletterte. Neben dem bekannten “Pimpf” und den zwei Vorabsingles ragten vor allem die eiskalten, scheinbar emotionslosen Songs “Behind The Wheel” und “To Have And To Hold” heraus, während “The Things You Said”, “I Want You Now” und “Little 15” samtweiche Kontraste schafften. Mit “Sacred” und “Nothing” fanden sich zwei Uptempo-Nummern, die nicht unbedingt zu den brilliantesten der bisherigen Bandgeschichte zählen, aber live sehr gut funktionierten, und zumindest der Text zu “Sacred” wird herrlich schwarz-humorig, wenn man ihr richtig interpretiert. “Eine Menge Themen kommen wiederholt in meinen Songs vor”, erklärte ihr Schreiber. “Eines davon ist die Desillusion oder der Mangel an Befriedigung. Viele Texte handeln von der Such nach Unschuld. Meine Theorie ist, daß man den Höhepunkt des Glücklichseins nur in jungen Jahren erreichen kann. Je älter und erfahrener man wird, desto abgeschliffener werden die Kanten des Liebens.”

Kurz nach der Geburt von David Gahans Sohn Jack ließ er diesen und seine Mutter Joanne auch schon wieder allein zurück, als die bislang ausgedehnteste Tour am 22. Oktober in Madrid begann. Nach Europa mit acht Konzerten in Deutschland folgte der erste Teil einer US-Tour, wo bereits mehr als eine halbe Million Einheiten der aktuellen LP abgesetzt wurden. Auf eine kurze Erholungspause um Weihnachten und die Single “Behind The Wheel” mit der ähnlich gestalteten Bobby Troup-Coverversion von “Route 66” auf der Rückseite folgten weitere Shows in England, wo Depeche Mode trotz allen Ruhmes auf der ganzen Welt noch immer nicht ernstgenommen, ja regelrecht abgeurteilt wurden: “Dave Gahan liefert uns diesen Essex-Sex-Akt”, schriber der New Musical Express. “Wir können nur staunen über, seine restlos überzeugenden Beckenstöße mit dem dazugehörigen, permanent erigierten Mikrofonständer. Wir bewundern seine Beherrsschung der Posen Freddy Mercurys und sind entstetzt über seine Tanzerei – eine Mischung aus den Zuckungen einer arthritischen Legebatteriehenne, einer Stripperin aus drittklassigen Filmen und Mick Jaggers Großmutter – die whol die zweitschlechteste Tanzroutine auf Erden ist.” Dafür müssen Außenstehende kein Verständnis haben, denn Fakt ist, daß der Frontmann mit seiner Show nicht ausschließlich weibliche Fans an den Rand des Wahnsinns treibt. Warum also sollte er sich einschränken? Der Melody Maker urteilte kritisch, aber konstruktiv: “Selbst bei fröhlichen Songs wie ‘Just Can’t Get Enough’ klingt Gahans Stimme, als sei sie in eine nasse, graue Wolldecke eingewickelt und dann mit Kissen verprügelt worden. Gore erscheint wie der arische Playboy der Gruppe und irgend etwas nervt einen bei Depeche Modes Verson von Sexualität. Gore und Gahan sehen unnatürlich jugendlich aus, als wären sie nach dem Katalog eines Fetischisten erschaffen”. Die deutsche Presse erkannte Unterschiede, blieb aber wohlgesonnen. In der BRAVO hieß es: “Die Tage der freundlich harmlosen Synthipop-Gruppe sind vorbei. Die Jungs machen jetzt Ernst, der stellenweise einen bitteren Nachgeschmack hinterläßt. ‘Pimpf’ besteht aus dumpf und überlaut dröhnenden Paukenschlägen und brüllendem Orgelsound, der so traurig durch den stockfinsteren Saal weht wie eine Totenmesse. […] Dave allein ist ganz der Alte geblieben. In hautengem schwarzen Leder bringt er die Fans innerhalb weniger Sekunden zum ersten Mal zum Kreischen. Der Frontmann wackelt mit Hintern und Hüften, malt die Fans immer wieder zum Mitklatschen.”

Doch spätestens nachdem Depeche Mode im Hochsommer 1988 nach dem zweiten Teil der Amerika-Tour auf die Insel zurückgekehrt waren, muß sich auch die britische Presse korrigieren. Ihr Landsmänner hatten einen triumphalen Zug über die andere Seite des Atlantiks absolviert, der seinen Höhepunkt im Rose Bowl Stadion von Pasadena / Kalifornien fand und einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde mit sich brachte. Keine Band zuvor hatte alleine dieses Stadion restlos zu füllen vermocht. Rund 70.000 Gäste waren anwesend und das ohne große Ankündigungen. Dazu später mehr.
 

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Vorher, am 7. März, gaben Depeche Mode ihr erstes Konzert in Ostdeutschland. Gleich einer Flutwelle verbreitete sich die Nachricht über dieses Ereignis in der Werner-Sellenbinder-Halle im Osten der geteilten Hauptstadt. Man muß bedenken, daß die Fangemeinde von Depeche Mode nach der staatlichen FDJ die zweitgrößte organisierte Gruppe von Jugendlichen darstellte. Was heute in Form von großen Veranstaltungen als “Depeche Mode Party” regelmäßig in beinahe jeder Stadt stattfindet, gab es hier bereits Mitte der Achtziger in kleinerem Rahmen. Offiziell konnten keine Tonträger der Engländer gekauft werden, mit Ausnahme einer DDR-exklusiven Best Of-Kopplung, die für kurze Zeite nur durch Beziehungen und unter dem Ladentisch zu erwerben war. Also wurde zu selbst zusammengeschnittener Musik auf Kassetten in schauderlicher Qualität getantzt, einen ganzen Abend lang und ausschließlich zu Depeche Mode. Das Entsetzten war groß, als von der Regierung bekanntgegeben wurde, daß nur ausgewählte Gäste Karten für dieses Konzert bekommen würden. Ausgewählt war zum Beispiel der Vorsitzende des “Freundschaftsrates” einer jeden Oberschule, egal ob Fan oder nicht. Diese Ungerechtigkeit mobilisierte Tausende Fans, zum großen Teil mit blonder Lockenpracht oder schwarzem Bürstenhaarschnitt und in selbst genähte Kleidung gehüllt, die sich auf den Weg nach Berlin machten, um wenigstens in der Nähe ihrer Idole zu sein. Diese beispiellose Vergötterung von Depeche Mode, ein Ausrichten des gesamten Lebensstils an dieser Band, war jenseits des eisernen Vorhangs kein Einzelfall, wie Dave zu dieser Zeit feststellte: “In Ungarn gibt es tatsächlich Fangruppen, die sich ‘Depeches’ nennen! Unser Hotel war buchstäblich von Hunderten Depeches umlagert und jeder von ihnen sah so aus wie einer von uns. In den Ostblockstaaten sind wir wirklich ganz groß. Sogar in der Sowjietunion wurde eine Umfrage auf den Straßen gemacht, welchen Film von einer Rockband die Leute am liebsten sehen würden. An erster Stelle kamen die Beatles, dann The Police und Depeche Mode.”

Nicht annähernd so extrem aber dafür zahlreich tauchten die Fans bei der an Asien anschließenden Tourforsetzung in Amerika auf. In diesem Jahr spielte die Band vor 450.000 zahlenden Amerikanern, wie der 1987 eingestellte, erste externe Tour-Buchhalter Jonathan Kessler ausrechnete, da kann man sich schon mal etwas Größenwahnsinn leisten und für das 101. und gleichzeitig letzte “Concert For The Masses” die gigantische Rose Bown Arena buchen. Man wollte sich selbst und den Kritiken beweisen, daß man nun zur musikalischen Elite gehörte. Die Bestätigung kam umgehend nach Vorverkaufsbeginn: “Sold out”.

OMD begleiteten diese US-Tour, die europäischen Anheizer waren Front 242 aus Belgien und Nitzer Ebb aus England. Jede dieser Bands profitierte davon. Front 242 und Nitzer Ebb aus dem elektronischen Untergrund etablierten sich daraufhin neben den Kanadiern Skinny Puppy und The Klinik aus Belgien als die ersten festen Größen in der harten EBM-Szene und darüber hinaus. OMD gewannen viele neue Fans, die über ihr Verlustgeschäft als Vorband hinwegtrösten konnten. Der Sänger Andy McCluskey berichtete: “Wir verdienten pro Abend 5000 Dollar und verloren ein Vermögen wegen unserer viel höheren Kosten. Ich glaube, zum Tourende schuldeten wir der Plattenfirma mehr als eine Million Pfund und die verdiente an jedem Abend genug, um sich zur Ruhe zu setzen.” Ihren Spaß hatten OMD allemal, sei es beim Cricket gegen Depeche Mode oder bei den Aftershowparties: “Die Parties auf der Tour wollten nich abreißen”, bestätigte McCluskey. “Es war direkt komisch, denn wir waren ja zwei Bands, die damals den Ruf hatten, absolut sauber zu sein, und dann benahmen wir uns alle wie die Tiere.”

Diese Seite des Tourlebens, mit Alkohol und Kokain, sparte D. A. Pennebaker in seinem Konzertfilm “101” aus, wie so manch Negatives, was mit einer langen Tour einhergeht, etwa Spannungen im Bandgefüge, die in einer Schlägerei zwischen Fletcher und Wilder mündeten. Pennebaker und sein Kamerateam begleiteten Depeche Mode und eine Gruppe von Fans, die vorher aus einem Tanzwettbewerb als Sieger hervorgingen und eine Busreise zu verschiedenen Konzerten ihrer Stars gewannen, durch die USA. Anders als üblich, sollte “101” keine Dokumentation werden, die mit gestellten Szenen die Künstler weiter zu profilieren versucht, sondern das reale Leben der Musiker aus seiner Sicht darstellen. Auflagen hatte er keine und so filmte Pennebaker 150 Stunden Rohmaterial ohne Drehbuch und ohne die Band vorher gekannt zu haben. Der Vorteil dabei war, daß er die Band nur aus dem Auge der Kamera kennenlernte und sie deshalb nur so zeigen konnte, wie sie sich gab, und häufig witzige Situationen festhielt, die sich spontan ergaben. Nachteilig war, daß er zu wenig über die Band und ihre Anhänger wußte und deshalb viele Schwerpunkte ungünstig setzte. Kaum ein Fan von Depeche Mode wird großes Interesse für das minutenlange Treiben anderer Fans im Bus aufbringen, schließlich kennt man dies zur Genüge aus eigenen Erfahrungen, und daß das Bier mal knapp wird und der Nachschub dann leicht übermütig in der Tankstelle aus dem Kühlschrank gerissen wird, wobei auch Flaschen zu Bruch gehen können, ist wirklich kaum aufregend. “Ich hätte gern auf diese Fans im Bus verzichten können, aber vielleicht hat mir das etwas über unsere Anhänger gezeigt”, erklärt Alan Wilder, dessen größte Sprechrolle im Film darin besteht, die Funktion seines Synthesizers anzudeuten. Nicht selten sind die Szenen zu langatmig, um selbst den interessierten Zuschauer tatsächlich fesseln zu können.

“101” sollte vorerst in ausgewählten Kinos laufen. Der vorangegangene Mißerfolg von “Rattle And Hum”, ein weitaus aufwendiger gemachter Musikfilm von U2, verhieß jedoch kaum Gutes für das Unternehmen der elektronischen Konkurrenz und letztendlich wurde der Film nur bei einigen Pressevorführungen öffentlich gezeigt. Als Kaufvideo war “101” schließlich für jedermann erhältlich und in den Augen der Massen eher schlecht als recht geraten. Daniel Miller, beim Konzert in Pasadena anwesend, erwies sich beinahe als besserer Beobachter als er erklärt: “Ich hatte sehr gemischte Gefühle beim Konzert, es war beängstigend, wenn man dort rund 70.000 Leute sieht, die alle dasselbe tun. Dann war es – wiederum erleichternd, zu erleben, wie die Jungs die Situation meisterten, eigentlich entgegen allen Erwartungen. Damit haben sie vielen Leuten bewiesen, wie sehr diese sich geirrt hatten. Aus dem Nichts kommend, in sieben Jahren so etwas zu erreichen, das war schon erstaunlich.”

Im Tourtrubel ging die vierte und letzte Single “Little 15” gänzlich unter. Depeche Modes Balladen haben als Auskopplung sowieso schlechtere Karten und deshalb war die bescheidenste Chartnotierung seit Jahren kein Rückstoß für die erfolgsberauschte Band. Auch Martin Gores ruhige Solo-Platte “Counterfeit E.P.” mit Coverversionen von vielen seiner Lieblingssongs, unter anderem von den Sparks oder Tuxedomoon, fand ein Jahr später nur wenig Beachtung, wenngleich sie viele tolle Moment bietet und sich Gores glasklare Falsettstimme auch über sechs Titel am Stück herrlich genießen läßt.

Alles andere als unbeachtet blieb dagegen der fast komplette Livemitschnitt des Konzertes in der Rose Bowl, der als reiner Tonträger ebenfalls unter dem Titel “101” am 13. März 1989 erschien, begleitet von der Single “Everything Counts”, die sechs Jahre nach Erstveröffentlichung ihre Reinkarnation erlebte. Der Videoclip zur Single wirkt wie eine Zusammenfassung des Konzertfilms und darin wird auch der finanzielle Aspekt einer Tour angeschnitten. Tatsächlich finanzieren Merchandising-Produkte wie T-Shirts eine Tournee dieser Größenordnung und dabei wechseln an einem Abend wie diesen schon mal Millionenbeträge die Besitzer. Allein der Verkauf der Tickets für dieses eine Konzert brachte einen Bruttoumsatz von 1.360.192 Dollar und 50 Cent, hört man den Buchhalter Kessler sinngemäß sagen. Das Live-Album “101” erreichte in England mit Platz 7 eine höher Notierung als sein vorangegangenes Studioalbum, eine ähnliche Kuriosität wird man in der Musikwelt kaum finden. Die Rechnung ging auf und als Weltstars kehren die Mitglieder von Depeche Mode in ihre Heimat zurück. Martin Gore sinnierte: “Sicher ist, daß dieses Doppelalbum das Ende einer Ära, das Ende eines Jahrzents, markierte. Wir hatten 1980 angefangen, ‘101’ kam 1989 heraus und unser nächstes Material wird es nicht vor 1990 geben – sollten wir ins nächste Jahrzehnt kommen.”

Doch da täuschte er sich gewaltig. Schon im August folgte die 23. Single “Personal Jesus” mit einem Paukenschlag und kündigte die – weitere Präsenz von Depeche Mode im nächsten Jahrzent an – und so viel sei bereits vorweggenommen: Ihren Zenit hatten sie noch nicht erreicht.
 

demoderus

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Kapitel 7
World Violation


Alle Befürchtungen, Depeche Mode würden sich nach all dem Tourstreß für länger Zeit zur Erholung zurückziehen oder wären gar dem Erfolgsdruck nicht mehr gewachsen und trennten sich, zerschlugen sich also bereits im Spätsommer 1989. Groß angekündigt wurde “Personal Jesus” im Vorfeld kaum, aber trotzdem scheint es merkwürdig, daß die Amerikaner mehrere Monate brauchten, diesen Titel in die Billboard-Charts zu kaufen, während in England schon das vor der Single veröffentlichte 12”-Vinyl ungeplante, wie die Band erklärte, einschlug – ein deutliches Zeichen für andere Strukturen in der Fanbasis. Der Erfolg Übersee kam spät aber gewaltig: Bis heute bleibt dies ihre Single, die in den Staaten mit weit mehr als einer Million Kopien den größten Absatz fand und die die meisterverkaufte in der Geschichte des Warner-Konzerns darstellt. Dabei hätte niemand so früh mit einer neuen Veröffentlichung gerechnet und schon gar nicht in dieser Form. Ob nun eine großes Stück amerikanischer Musiktradition oder einfach nur das Wirken des neuen Produzenten Flood auf seine Gestalt Einfluß genommen hat oder nicht, sei einmal dahingestellt, sicher ist jedoch, daß “Personal Jesus” den ersten DM-Song mit unüberhörbaren Zitaten aus konventioneller Rockmusik und Rhythm & Blues darstellte. So hatte er mit seinem energischen Gitarrenriff und rhythmisch hämmernden, schallenden Drums nur noch wenig mit den jüngsten Hits aus Martin Gores Feder gemein, blieb dank Dave Gahans markanten Gesangstils aber trotzdem so typisch für Depeche Mode, daß Fans und Kritiker gleichermaßen in begeistertes Staunen versetzt wurden. Und beinahe vorhersehbar, erregten sich vielerorts die Gemüter erneut, sobald ein genauerer Blick auf Gores Lyrics gerichtet wurde. Wieder mehrten sich die Vorwürfe, der Songschreiber würde in seinem Text gotteslästernd argumentieren, und als ihn die Promotionplakate mit einer nackten Frau im Arm zeigten und der bereits entschärfte Clip die Band im Western-Stil bei einem Bordellbesuch in der Wüste darstellte, war der nächste kleine Skandal perfekt. Über die wahren Hintergründe des Textes hat Gore später zwar gern Auskunft gegeben, doch reichten seine Erklärungen von der Aufforderung, das Schicksal nicht dem Zufall zu überlassen und eigene Gedanken über Glaube und Leben in den Mittelpunkt zu stellen über die Kritik an amerikanischen Fernsehpredigern bis hin zur Inspiration durch ein Buch von Priscilla Presley, die ihren verstorbenen Mann beinahe als gottgleichen Mentor darstellte. “Personal Jesus” wurde weltweit zu einem ihrer größten Hits. Auch die zahlreichen Remixversionen auf den verschiedenen Maxi-Formaten gehören zu den anspruchvollsten und vielseitigsten, die je von einem ihrer Songs veröffentlicht wurden. Darüber hinaus beweist die B-Seite “Dangerous”, wie so manch andere des kommenden Jahres auch, selbst absolute Singlequalitäten. Fast möchte man der Band ein inflationäres Umgehen mit der Wahl ihrer weitern B-Seitentitel auf den Auskopplungen zu dieser Zeit vorwerfen, denn ohne Ausnahme hätte fast jeder von diesen insgesamt sechs zumindest den Platz auf dem folgenden Album verdient anstelle der zwangsläufigen Eigenschaft eines Artikels zweiter Wahl. Vielleicht haben Depeche Mode dies auch erkannt, denn Tatsache ist, daß ein ähnlicher ‘Fehler’ nie wieder begangen wurde.

Trotz Alan Wilders Bedenken sollte Dave Bascombe anfangs wieder bei der Produktion von “Violator”, dem kommenden Album, hinter den Reglern arbeiten. Bascombe war jedoch Mitte 1989 vollständig ausgelastet mit der Produktion des Albums “Sowing The Seeds Of Love” von Tears For Fears. Also schlug Daniel Miller den Produzenten Mark Ellis, besser bekannt als “Flood” für seine Arbeiten mit beispielsweise U2, Nick Cave oder Cabaret Voltaire, vor. Auf eine Vorproduktion von Gores jetzt sehr simpel gehaltenen Demos wurde verzichtet und man quartierte sich drei Wochen im World Wide Programming Room von Mute ein, bevor es f:ur die weitere Arbeit in das Logic-Studio nach Mailand ging. “Ich glaube, wir verbrachten sechs Wochen dort”, erinnerte sich Flood. “Der Plan war: Harte Arbeit und wilde Parties. Das war für alle eine tolle Zeit. Zwar brachten wir nicht viel zustande, außer was den Song ‘Personal Jesus’ betrifft, doch die Hauptsache war, daß wir den Stil des Albums gefunden hatten.” Und dies lief mittels regelrechter Jam-Sessions. Es wurde gar nicht erst versucht, möglichst vielen Titeln eine finale Gestalt zu geben sondern vielmehr aus dem Experiment ein neuer Gesamtsound kristallisiert. Dies Möglichkeit bot sich bei den Aufnahmen von “Music For The Masses” kaum, doch wie geplant waren die Demotracks so spärlich arrangiert, daß ein Song noch in jede erdenkliche Richtung hätte entwickelt werden können oder seine Gestalt sich bis zur Albumversion mehrmals veränderte. “Enjoy The Silence” beispielsweise war vorerst eine zarte Ballade und erst auf Wilders Drängen him wurde sie die flotte Tanznummer, wie man die Single heute kennt. Dave Gahan berichtete in einem Interview 1990: “’Violator’ ist wahrscheinlich das erste Album, für das wir uns alle gemeinsam mehr als je zuvor im Studio bemüht haben. Es war ein gemeinsames Projekt der Band und ich denke, es ist unser erstes Album, auf dem jeder Song sehr gut ist. Jedes Stück hat eine andere Atmosphäre. Ich f:uhlte mich engagierter als je zuvor – sowohl mit meinem Gesang wie mit meinem Willen, alles so gut wie möglich hinzukriegen. Die Arbeit am Album war sicher nicht einfach, aber eine schöne persönliche Erfahrung. Auch war die Produktion ein sehr langwieriger Prozeß, mit beinahe einem Jahr die längste bisher. Es kam mehrmals vor, daß die Songs in einem bestimmten Stadium wieder komplett verworfen wurden, wenn wir feststellten, daß das so nichts brachte. Alles lief viel spontaner ab als früher.”

Während Gahan im Studio mit vollem Elan bei der Sache war und manchmal kreative Höhenflüge erlebte, plagten ihn nach der Arbeit, wenn die Band mal nicht chemisch aufgeputscht durch die Mailänder Clubs zog, häufig Sorgen und die Gewißheit, daß seine Ehe kaum noch zu retten war. Trost holte er sich bei der Amerikanerin Theresa Conway, die für die Band Presseangelegenheiten regelte, wenn er mit ihr, oft betrunken, stundenlang am Telefon seine Probleme wälzte. Anfang 1990 zog er dann den endgültigen Schlußstrich unter seine Ehe. Martin Gore hatte nach seiner gescheiterten Beziehung mit der Berlinerin Christina in Paris eine neue Liebe in der texanischen Schönheit Suzanne Voisvert gefunden, mit der er seit den mittleren Neunzigern verheiratet ist und drei gemeinsame Kinder, Viva-Lee, Ava-Lee und Calo-Leon hat.

Mit der Gewißheit, Mailands Partyszene hindere sie an einem schnellen Vorankommen bei der abgeschiedenen Tiefebene Dänemarks. Die Band wohnte in nahegelegenen Landhäusern. Wilder, Gahan und sein Freund Daryl Bamonte, gleichzeitig zusätzlicher Soundingenieur, zusammen in einem, Fletcher, Gore und Flood in einem anderen. Es hieß, daß Fletcher mit persönlichen Problemen zu kämpfen hatte und eine schwere Depression entwickelte, die wahrscheinlich auf den Tod seiner Schwester Karen zurückzuführen war, die 1986 an Magenkrebs starb. Sein Zustand verschlechterte sich in Dänemark so sehr, daß er sich selbst Krankheiten einbildete, an den Sessions kaum teilnehmen konnte und schließlich abreisen mußte. Zuhause in London suchte er verschiedene Ärzte auf, die ihm kaum weiterhelfen konnten. Starke Antidepressiva halfen ihm zeitweilig aus seinen emotionalen Tiefs heraus, wirkten aber auch persönlichkeitsverändernd. An diesem Zustand sollte sich in den folgenden Jahren nichts ändern.
 

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Fletchers Mitwirkung bei Albumproduktionen war bekanntlich gering und sein weiteres Fehlen hatte keine negativen Auswirkungen. Wie bereits zuvor auf “Music For The Masses” umgesetzt, sollten im Sound wieder organische Klänge über die mechanischen dominieren. Floods Input war dabei von großer Bedeutung. Er ging weitaus dynamischer als sein Vorgänger Bascombe ans Werk wenn es galt, natürliche Instrumentaltracks mit kühler Mechanik zu kombinieren oder die Übergänge von einer Stilprägung zur anderen deutlich zu machen, was durchaus so gewollt war. Die Puk-Sessions gelten als die produktivsten für “Violator”. Songs wie beispielsweise “Policy Of Truth” oder “Clean” fanden nach viel Tüftelei in diesen Studios ihr Endstadium. Trotzdem wechselte man im August 1989 erneut die Location und zog zur Fertigstellung des Materials zurück nach London in das berühmte The Church-Studio. Steve Lyon wurde als weiterer Toningenieur angeheuert, François Kevorkian half beim Abmischen. Kevorkian galt als ausgesprochener Perfektionist, doch seine Arbeit traf nicht immer den Geschmack der Band. “Das Problem war, daß er alles auf elektronisch trimmte”, meinte Flood, “und dann noch einen Discostil dazumixte, der bei einem Song harmonierte, aber nicht bei den anderen. Von da an bat mich die Band, jeden Tag ein oder zwei Stunden im Studio zu verbringen, nach dem Rechten zu sehen und Vorschläge zu machen. Grundsätzlich versuchte ich nur, den ausgefeilten elektronischen Kunstwerken einen schmuddeligeren, kantigeren Ansatz zu verpassen.” Nichtsdestotrotz lieferte Kevorkian großartige Ergebnisse. Mit Ausnahme von “Enjoy The Silence” geht der komplette Mix des Albums auf sein Konto. “Enjoy The Silence” wurde von Miller und Flood fertiggestellt, nachdem der Mute-Boß sein Veto gegen Kevorkians Version der Titels einlegte.

Am 5. Februar 1990 erschien schließlich dieser Song als weiterer Vorbote für “Violator” und wurde, was Verkaufzahen anbelangt, der größte Hit der Bandgeschichte. Top Ten-Plazierungen auf der ganzen Welt, Amerika und England eingeschlossen, folgten. In Deutschland lauerte “Enjoy The Silence” wochenlang vergeblich hinter Sinead O’Connors “Nothing Compares 2 U” auf den Spitzenplatz der Singlecharts. Bei den Brit Awards wurde es zur besten britischen Single des Jahres gewählt. Es gibt wahrscheinlich keinen Song von Depeche Mode, der einen derartigen Ohrwurmcharakter vorweisen kann. Mit seinem modernen Dancerhythmus, Gitarrenriffs im Stile vieler Titel von New Order, synthetischen Flächensounds und unverwechselbarem Refrain trifft er weitaus mehr musikalische Geschmäcker als nur die der engeschworenen Fans. Viele heutige Anhänger bezeichnen “Enjoy The Silence” als den ausschlaggebenden Song für ihre Leidenschaft.

Und dann ist da noch der Videoclip, den es in dieser Form beinahe nicht gegeben hätte, da Corbijns Idee, den Sänger als König Arthur verkleidet mit einem Liegestuhl durch stille Landschaften zu schicken, anfangs als “zu albern” abgelehnt wurde. Der Regisseur erläutert: “Die Idee war eigentlich ganz einfach: Man kann überall seine Ruhe haben, auch ohne Geld. Wir drehten in Schottland, Portgual und den Schweizer Alpen. Ich wollte Schnee, aber es war ein milder Winter, so daß wir einen Hubschrauber charterten und auf einen 3000 Meter hohen Berggipfel fliegen mußten.” Der Hauptdarsteller Gahan empfand seine Rolle jedoch als alle ander als angenehm: “Es war verdammt kalt da oben. Ich dachte mir, ich zieh’ diesen Fummel hier nicht an, da sehe ich ja aus wie ein Verrückter. Einen Shot verweigerte ich. Der Umhang wog eine Tonne, ich versank mit meinem bescheuerten Liegestuhl im Schnee und meine Krone begann einzufrieren. Ich haßte das alles Produzent Richard Bell doubelte mich be einer besonders langen Szene.” Gahane wußte be den Dreharbeiten nicht, wie grandios Corbijn die Bilder umsetzen wird und daß diese den erfolgreichsten Clip der Bandgeschichte gestalten würden.

Am 19. März wurde das Album “Violator” veröffentlicht und dieses Datum war mit einer Meldung verknüpft, die durch die Nachrichten der Welt ging: Ausnahmezustand bei einer Autogrammstunde. Diese fand im Wherehouse Record Store von Hollywood statt und lockte 17.000 hysterische Fans an. Bereits Tage zuvor versammelten sich mehrere Tausend vor dem riesigen Plattenmarkt. Als die Band schließlich auftauchte, mußten Hunderstschaften der Polizei dafür sorgen, daß die Situation nicht eskaliert. Nach 90 Minuten wurde der Spuk schließlich beendet – Bilanz: Sieben Verletzte und der größte Polizeieinsatz seit dem Besuch des Präsidenten.

Der Erfolg von Depeche Mode war nicht mehr in normalen Dimensionen zu beschreiben. “Violator” erreichte überall auf der Welt Spitzenplätze, wird mit über sieben Millionen Exemplaren das meistverkaufte Album Depeche Modes aller Zeiten und eines der erfolgreichsten des Jahres, die Presse überschlägt sich vor Lob und das zu recht, denn perfekter läßt sich elektronische Popmusik mit Anspruch kaum unsetzen, auch nicht heute. Angefangen beim steril pulsierenden “World In My Eyes” über das experimentelle “Sweetest Perfection” und die Single-Erfolge “Personal Jesus”, “Enjoy The Silence” sowie “Policy Of Truth” bis zu den brillianten “Halo”, “Clean” und stillen Momenten “Waiting For The Night” und “Blue Dress” – Depeche Mode ziehen alle Register einer modern Popband und kreierten ihr zeitlosestes Album ohne den Bruchteil einer Schwachstelle, immer und immer wieder ein Genuß. Obwohl “Violator” weitaus minimaler und klinischer gehalten war als seine Vorgänger und in seiner uneingeschränkten Eingängigkeit eher an die Anfangstage anknüpfte, wurde dies das erste Album, welches niemanden mehr an der Existenzberechtigung und Glaubwürdigkeit Depeche Modes zweifeln ließ. Der Erfolg durch Alben und Tourneen in den ausklingenden Achtzigern wurde nicht zur bestätigt, sonder weiter ausgebaut, Depeche Mode zählten fortan endgültig zu den besten und wichtigsten Bands der Musikweit.
 

demoderus

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Ruhm und Glamour sich auf der Bühne fort. Die “World Violation-Tour” startete am 28. Mai 1990 mit einem Konzert im Pensacola Civic Center in Amerika, dem erston von 31 auf diesem Kontinent. In wenigen Stunden wurden 42.000 Tickets für das Konzert im New Yorker Giants Stadium verkauft, 48.000 für das Konzert im Dodgers Stadium von L.A. Zusatzkonzerte wurden angesetzt und ausverkauft. Zuvor hatten Alan Wilder und Steve Lyon wochenlang an den Backing-Tapes gefeilt und vielen Songs ein neues Gesicht gegeben, und Anton Corbijn gestaltete erstmalig das Bühnenbild. Die Leinwände prangten im Hintergrund, die eigens dafür gedrehtes Videomaterial zeigten, und die Hightech-Lightshow übertraf alles, was die Band je zuvot aufgefahren hatte. Das Tourintro “Kaleid” ging im Jubel Tausender vollständig abgedrehter Fans unter, während auf weiteren Leinwänden überdimensionale Rosen aus dem neuen Cover-Artwork erschienen und nervöse Laser durch Stadien und Hallen zuckten. Dave Gahan präsentierte such auf der Bühne in weißer Jeans und schwarzer Lederjacke anfangs äußerts lässig, wurde von der tosenden Kulisse aber immer wieder zum Ausrasten animiert und fegte von Bühnenrand zu Bühnenrand, drehte Pirouetten oder schleuderte seinen Mikrofonständer durch die Gegend. Martin Gore wurde in der Mitte des Sets die Bühne überlassen und er trug zwei bis drei seiner Balladen in Akustikform durch eigenhändige Begleitung auf der Gitarre vor. Kenner bezeichnen die Konzerte im Rahmen dieser Tour, deren materielle Komponenten Sattelschleppern und einer 100 Mann starken Crew durch die Welt bewegt wurden, als die besten aller Zeiten. In ihrer Größe wird diese Tournee nur noch von der drei Jahre später folgenden “Devotional-Tour” übertroffen, die die Band psychisch und physisch zerstören wird. Daryl Bamonte spekuliert: “Dave brachte es später auf den Punkt, als er feststellte, daß sich 1990 das Leben von uns allen änderte. Der Unterschied zwischen “Violation” und “Devotional” bestand in der Länge – “Violation” war zu Ende, bevor die Leute richtig schlappmachen konnten. Es war das Ende einer Ära der Zusammengehörigkeit und der Anfang einer zerbrechlicheren Phase. Der Hedonismus setzte bereits in den Achtzigern ein, doch während “Violation” gewann er an Schwung, was wiederum den Weg für “Devotional” ebnete.”

Ecstasy spielte be dieser Tour eine große Rolle, Band und Crew befanden sich im Zustand einer endauernden Megaparty und Dave Gahan gab zu, damals zum letzten Male richtig Spaß an Drogen gefunden zu haben. Chris Carr sagte über Gore: “Wenn es da draußen etwas gibt und er will wissen, wie es ist, dann probiert er es eben. Martin ist kein Dilettant, er ist wie eine Leber – und seine Leber muß viel aushalten! Er ist nicht süchtig wie Dave, der loszieht, das Zeug nimmt und weiß, daß er dafür bestraft wird, Martin ist anders. Er hat diese naïve Einstellung, daß man Sachen zu Erfahrungszwecken ausprobiert.” Alan Wilder ergänzte: “Martin wird sehr anlehnungsbedürftig, wenn er einen in der Krone hat. Er versammelt Wildfremde um sich und erzählt ihnen seine Lebensgeschichte, aber anders als Dave hat er in seinen Exzessen nie ein Trümmerfeld hinterlassen. Vielleicht muß Dave Ärger machen, um sich selbst zu erniedrigen. Martin bleibt cool und vieles kommt nie ans Tageslicht. Um ehrlich zu sein, war der Alkohol schlimmer als alles andere, aber während der “Violator”-Zeit spielten Drogen eine große Rolle: Ecstast, Kokain – alles außer Heroin. Dann fing Dave mit Heroin an, während der Tour. Ich glaube, es muß an seiner Persönlichkeit liegen. Er braucht einfach das ultimativ Extreme.” Der Sänger selbst erklärte nach seinem Entzug: “Jahrelang soff ich und nahm Drogen, ungefähr seit meinem zwölften Lebensjahr. Ich schluckte ab und zu das ein oder andere Phenorbital meiner Mutter; Hasch, Amphetamine und Koks folgten. Dann entdeckte ich plötzlich Heroin. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte mich nicht… na ja… gefühlt wie nie zuvor. Ich fühlte mich einfach vollkommen. Nichts konnte mir etwaz anhaben, ich war einfach unerschütterlich. Es war Euphorie. Doch die Euphorie hielt nicht lange an.”

Mit 75 Shows war die “World Violation-Tour” kürzer als die vorangegangene und esparte der Band noch das viele Leid, welches die nächste bringen wird. Erstmalig wurde auch ein Konzert aus gesundheitlichen Gründen abgesagt, da Gahan seine Stimmbänder überstrapazierte und absolutes Sprechverbot hatte. Dates in Osteuropa und Teilen von Asien wurden zudem aus Kostengründen ersatzlos gestrichen.

Bevor Depeche Mode sich für längere Zeit zurückzogen, kam mit “World In My Eyes” am 27. November 1990 die letzte Single aus “Violator” heraus und räumte noch einmal gewaltig ab. Wie bereits “Personal Jesus” enthielt sie hervorragende Songs auf der B-Seite. Die Uptempo-Nummern “Happiest Girl” and “Sea Of Sin” sollten ursprünglich auch Platz auf dem Album finden, überbrückten in dieser Form jedoch noch ein wenig die lange Wartezeit auf neues Material und gingen als die beste B-Seite in die Bandgeschichte ein. Der Programmierer Lorenz Macke aus Hannover, später bekannt als Labelchef und Bandmanager von beispielsweise De/Vision, brachte die Mode-lose Zeit indes anders über die Runden: Er war ein halbes Jahr mit der Organisation des bis dahin größten Fantreffens der Welt beschäftigt, zu dem am 3. Oktober 1991 mehr als 3000 Besucher nach Dortmund reisten. Die Band selbst war an diesem Abend lediglich in den Köpfen der Fans anwesend, die zum Großteil ihren Kult auch nach außen zelebrierten und mit verblüffenden Resultaten die Musiker in Kleidung und Hairstyling imitierten. Gefeiert wurde bei diesem Event und bei allen kommenden diesem Vorbild folgenden Massenveranstaltungen ausschließlich zu Musik von Plattenteller. Die heute bekannteste Veranstaltung dieser Art lockt seit Juni 1992 zwei- bis dreimal pro Jahr rund 2000 Freaks in die Hamburger Markthalle zu den “Parties For The Masses”, die mittlerweile un weitere Programmpunkte wie Liveauftritte artverwandter Acts, Plattenbörse oder Tattoostudio bereichert wurden.

Depeche Modes Anhängerschaft wuchs also kontinuierlich und wurde immer lauter, während es für viele Monate komplett still um die Band war. Auf die ersten Meldungen seit Ewigkeiten hätten dann wohl viele gern verzichtet.
 

demoderus

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Kapitel 8
Walking In Jesus’ Shoes


Die Zeit ohne Depeche Mode war lang, für viele Fans unerträglich und endlos, ehe es Ende 1992 plötzlich News im Magazin des englischen Fanclubs “Bong” gab. Das erste gedruckte Foto von Dave Gahan seit fast zwei Jahren verursachte Weinkrämpfe und Beinahe-Herzstillstände. Es zeigte ihn abgemagert bis auf die Knochen mit langen strähnigen Haaren und Bart. Die Ähnlichkeit zu den vertrauten Bildern vom jugendlich wirkenden, nie lächelnden Mädchenschwarm, welche hunderttausendfach die Jugendzimmer der Welt zierten, war verschwunden. Ungläubig verfolgte man die Spekulationen über eventualle Krankheiten oder eine Drogensucht. Was war also in der Zwischenzeit passiert?

Musikalisch jedenfalls so gut wie nichts. Die von Martin Gore gesungene Ballade “Death’s Door” für den Soundtrack zum Wim Wenders Film “Bis ans Ende der Welt” erschien als einziger neuer Song, ansonsten hörte man nicht das kleinste Gerücht über die Musiker. Auch daß Gore und Fletcher etwa zeitgleich zum ersten Mal Vater geworden waren, ging weitgehend unter. Am 6. Juni 1991 kam Martins Tochter Viva-Lee zur Welt, nur knapp zwei Monate später am 25. August Megan Fletcher, die gemeinsame Tochter von Grainne und Andrew. Die beiden jungen Väter waren auch die einzigen, die den engen Kontakt untereinander aufrecht hielten, verband sie doch von jeher mehr als nur die selbe Arbeit in der gleichen Band. Ihre Freundschaft ist seit den mittleren Schuljahren von bis date andauernden Bestand. Lediglich der musikbesessene Alan Wilder widmete sich nach der Trauung im selben Jahr mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Jeri auch in der Zeit ohne Material der Hauptband seiner großen Leidenschaft, der Musik. Nach den experimentellen Soloalben “Recoil 1 + 2” (1986) und “Hydrology” (1988) arbeitete er 1991 an seinem dritten Werk “Bloodline”. Für dieses Unternehmen holte Wilder Douglas McCarthy von der nun weltweit geschätzten britischen EBM-Kapelle Nitzer Ebb ins Boot, die zuvor erneut als Supportact für Depeche Mode während ihrer “World-Violation”-Gigs in Amerika in dieser Rolle (Vorbands für Depeche Mode fallen bei Fans in allgemeinen gnadenlos durch) regelrecht abgefeiert wurden. McCarthys charakteristische Stimme hört man auf der Alex Harvey Band Coverversion und gleichzeitigen Recoil-Single “Faith Healer”, einem der besten Stücke auf “Bloodline”, auch wenn die rein musikalischen Unterschiede zu Depeche Mode eher gering ausfielen. Weitere Sänger für dieses Album wurden beispielsweise Moby und Tony Halliday von Curve. Wilder und McCarthy sind seit 1987 befreundet und dies blieb nicht das einzige ihrer gemeinsamen Projekte: Die nächste Nitzer-LP “Ebbhead” produzierten Wilder und Flood. Auch wenn dieses Album mit seinen gewagten, oftmals untypischen Klängen die Fans des brutalen, sequenzerbasierten Stakkato-Gehämmers anfangs vor den Kopf stieß, wurde es nach kurzer Gewöhnungszeit das erfolgreichste Album Nitzer Ebbs und verkaufte allein in den USA mehr als 250.000 Einheiten. Bereits im Jahre 1991 fanden daf:ur Elemente Verwendung, die konzentriert unter dem Begriff “Big Beat” erst viele Jahre später von anderen Acts wie The Prodigy entdeckt werden und diese zu Weltruhm führen. Gleiches gilt für Nine Inch Nails, welche – die innovative Leistung Trent Reznors in allen Ehren – keinesfalls die ersten waren, die brachialen Rock mit technologischer Perfektion koppelten. Des weiteren textet und singt Wilders Freund zuletzt auf dem 1997er Recoil-Album “Unsound Methods”. Dave Gahan hatte nach der “World Violation”-Tour seinen Wohnsitz in Los Angeles aufgeschlagen, wo er sich ein Apartment mit seiner neuen Liebe Theresa Conway teilte. Mental ging es dem Sänger ausgesprochen schlecht. Die noch frische Trennung von seiner Frau Joanne und natürlich auch von seinem inzwischen vier Jahre alten Sohn Jack setzte dem labilen Gahan stark zu. In bestimmter Weise machte er Depeche Mode für sein Dilemma verantwortlich: Sein Leben in der Isolation, der Ruhm und die Erwartungen, die auf ihm lagen. Allein der Gedanke an ein neues Album und alles, was damit verbunden ist, bereitete ihm Grauen. Um finanzielle Aspekte brauchte er sich schließlich schon längst keine Gedanken mehr zu machen. Aber auch der Tod seines leiblichen Vaters, zu dem er seit seiner Kindheit keinen Kontakt mehr hatte, ging keineswegs spurlos an ihm vorbei: “Innerhalb von sechs Monaten stürzte alles auf mich ein”, erzählte Gahan später. “Ich denke noch immer hun und wieder an meinen Vater, daß ich durch ihn vielleicht auch viel über mich selbst hätte lernen können.” Schmerzhaft mußte er erkennen, daß sich das Verhältnis zu seinem eigenen Sohn ähnlich gestalten würde, wenn er dem nicht entgegenwirkte. Aber so einfach ließ sich das nicht umsetzen. Drei- bis viermal im Jahr flog er nach England, um seine Mutter und seinen Sohn zu sehen – unter Voraussetzungen, die ein normales Verhältnis kaum zuließen. Der immense Drogenskonsum des abgewrackten Sängers und einhergehende Paranoia machten es ihm fast unmöglich, seinen ehermaligen Wohnort Basildon zu betreten. Er entwickelte eine regelrechte Phobie gegen die schäbige Kleinstadt, aus der er früher bereits “flüchtete”, wie er in einem Interview erzählte. Also lud Gahan seine Mutter immer nach London ein und wohnte dann selbst in einer Wohnung in Wapping zusammen mit seinem alten Freund Daryl Bamonte. Sein Zustand nahm unterdessen fast schizophrene Gestalt an. Das Heroin hatte seine subjektive positive Wirkung beinahe vollständig verloren und eine ausgeglichene Gefühlswelt war manischen beziehungsweise zunehmend depressiven Extremzuständen gewichen. Noch fühlt er sich wohl in seiner Rolle als sebstzerstörerischer Rockstar oder realisiert ganz einfach nicht den gefährlichen Strudel, in dem er längst treibt: “Für mich ist ‘Durchschnitt’ momentan nicht gut genug. ‘Okay’ oder ‘Es wird schon passen’ reichen mir nicht. Ich brauche Brillianz im Leben und will nur das Beste: Hingabe, Sex und Liebe. Ich will einfach, daß mich Dinge bewegen.” Wirklichen Halt fand er zu keinem Zeitpunkt in seiner neuen Lebensgefährtin, die eher ein Objekt der Begierde des Sängers gewesen sein soll, die alles akzeptierte und bereit war, mitzumachen – sexuell und in Bezug auf Drogen. Angeblich hatte er sich auch die Haare für die Frau wachsen lasse, die er im April 1992 unter strengster Geheimhaltung jedoch überstürzt, wie bandnahe Informanten meinen, heiratete. Bamonte wurde sehr bald der einzige Freund aus vergangenen Tagen, zu dem er Kontakt hielt. Auch wenn der extreme Sänger im Vollrausch oftmals komplett unzugänglich war, sponserte er in lichteren Phasen ausschweifende Parties für sich, seine Frau und neue “Freunde”. Er war auf dem besten Weg, sein schon länger gestecktes Ziel, den Rock’n’Roll-Mythos vollständig auszuleben, ja gar der Inbegriff dessen zu werden. Niemand seiner Bandkollegen bekam den Frontman zu Gesicht, einzig Daniel Miller traf ihn einige Male und zeigte sich etsetzt: “Er sah aus wie ein klassischer Junkie. Er war abgemagert und sah krank aus, ich wußte genau, was mit ihm passierte. Früher hat er spaßeshalber immer gern den kaputten Rockstar imitiert, mittlerweile war er zu seiner eigenen Parodie mutiert. Es war sehr schlimm. Er versuchte sogar, sein Problem vor mir zu verbergen.” Gahan selbst realisierte weder seinen eigenen Zustand, noch die Reaktionen seines Umfeldes. Sein grenzenloser Egotrip rechtfertigte jeden Exzeß, zögerliche Kritiken kamen nicht bei ihm an und er holte aus jeder winzigen Bemerkung nur noch weiteren Antrieb für seinen Weg in den Dreck.
 

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Durch die Erzählungen Millers konnten sich die übrigen Musiker von Depeche Mode zumindest in Ansätzen auf das erste gemeinsame Treffen in Madrid seit mehr als einem Jahr einstellen. Man wollte mit den Planungen für das nächste Album beginnen. Eine Villa am äußersten Stadtrand sollte auf Anraten Floods gleichzeitig als Studio und Herberge fungieren, genau wie er es zuvor von der Produktion des U2-Albums “Achtung Baby” kannte und sie damit hervorragende Ergebnisse erzielen konnten. Ein geeignetes Studio, welches dazu auch noch eine komfortable Wohnstätte bot, gab es in Madrid nicht, also richtete man sich kurzerhand so ein, wie es benötigt wurde. Gore, Fletcher und Wilder sind in der Zwischenzeit dank Familie und völliger Streßfreiheit bodenständiger gewordern und kamen mit dem häufig euphorischen Verhalten ihres Sängers schwer zurecht. Während die einen die Produktion langsam anlaufen lassen, sich wieder aneinander gewöhnen und sehen wollten, in welche Richtung sich die ersten Sessions entwickeln würden, hatte Gahan schon detaillierte Vortellungen vom Konzept des neuens Albums, die er aggressiv durchzusetzen versuchte, egal wie abwegig sie für seine Kollegen zuerst erscheinen mochten. Deutlicht beeinflußt von der aufgehenden Saat, die Nirvana, Pearl Jam oder Soundgarden in seiner neuen Heimat austrugen, wollte er den Sound rockiger und schmutziger, eben grungig, und wich von dieser Einstellung keinen Zentimeter ab. Ungläubige Blicke starrten den am ganzen Körper mit frischen Tattoos überzogenen Sänger an, dessen Bild trotz aller Vorahnungen die anderen lediglich irritierte, aber mit dieser Überschwenglichkeit des im Studio zuvor weitaus zurückhaltenderen Fremden hatte niemand gerechnet. Gahan hatte eigentlich nicht vor, bei dieser Platte-mitzuwerken. Er sah keinen Weg für Depeche Mode, nach dem bahnbrechenden Erfolg der letzten Veröffentlichungen, kunstlerisch weiter voranzukommen. Hätte Gore ihm nicht im Vorfeld Demotapes für das Album geschickt, die sich in seinem Sinn umsetzen ließen, hätte er dem Songwriter vorgeschlagen, nach einem anderen Sänger zu suchen.

Die anfängliche Begeisterung f:ur das sonnige Spanien und die Idee des Produzenten, der nach seiner Meisterlestung “Violator” erneut angeheuert wurde, wich bereits nach wenigen Tagen. Erstens, weil die Attraktionen der Hauptstadt mehr als eine halbe Autostunde entfernt lagen und es nachts nicht immer einfach war, ein Taxi zurück auf das land zu bekommen und sich zweitens schon bald kleinkriegerische Differenzen zwischen den unterschiedlichen Persönlichkeiten einstellten, denen aufgrund der räumlichen Enge kaum aus dem Weg gegangen werden konnte. Der Frust wurde abends häufig in Clubs und Bars ertränkt, tagsüber wurde der Kontakt, wann immer es ging, vermieden. Die Arbeit ging nicht schleppend voran, sondern verlief im Sand, bevor sie angelaufen war. Frustration machte sich breit, vor allem bei den noch motivierten Produzenten Wilder und Flood und zum Teil auch bei Gahan. Man war sich durchaus darüber im klaren, daß ein ebenbürtiger Nachfolger von “Violator erwartet wurde, sehnsüchtiger als jedes Album zuvor, und man sich dieses Ziel natürlich auch selbst gesteckt hatte, aus künstlerischen Aspekten und zur eigenen Zufriedenheit. Doch es gestaltete sich zunächst unmöglich, die konträren Vorstellungen zusammenfließen zu lassen und daraus den neuen Stil zu extrahieren, nicht weil sich die Elemente nicht vermischen ließen, sondern weil bestimmte Personen sich zunächast mit aller Gewalt dagegen stellten. Der Zustand in der Villa soll bald dem in einer geschlossenen Anstalt geglichen haben. Wenn Alan Wilder nach ergebnisloser Studioarbeit Ruhe suchte, mußte er stundenlang die Feedbacks ertragen, die sein langhaariger Nebenmieter auf einer E-Gitarre erzeugte. “Dave verbrachte damals viel Zeit in seinem Zimmer”, erinnert sich der Musiker. “Obwohl er eigentlich von der Idee eines neuen Albums begeisterts war, engagierte er sich bald nicht mehr auffällig. Doch er kam hin und wieder runter ins Studio und lobt als einziger unsere Arbeit. Zumindest sorgte er sich um die Gruppe, ganz gleich in welcher Verfassung er selbst war.” Der Sänger schottete sich immer weiter ab, und wenn er die Gitarre beiseite legte, griff er zum Pinsel und verbrachte die Nächte vor seiner Staffelei, um ein Ölgemälde für seiner Frau Theresa zu fertigen: “Ich malte nächtelang, was ich als ausgezeichnete Therapie empfand. Das ließ ich mir nicht nehmen und dachte nur: ‘Ihr konnt mich alle mal, ich lasse mir von euch nichts sagen.’ Als das Gemälde das vorher keiner außer Anton gesehen hatte, fertig war, zeigten sich die anderen Bandmitglieder ziemlich überrascht. Martin war stark beeindruckt und ich erklärte ihm, daß ich drei Jahre auf der Kunsthochschule verbrachte hatte. Malen war damals alles, was ich konnte.”

Gore dagegen soll viel getrunken und gleichgültig der anstehenden Arbeit gegenüber Videospiele gezockt haben. Andy Fletcher nahm seine Rolle als Diplomat in Bandbelangen häufig zu ernst und erntete für seine Bemühungen um Harmonie oft nur Unverständnis und Gehässigkeit. Resignierend entwickelte der psychisch wahrscheinlich noch immer oder wieder Antidepressiva verschrieben bekam, den wunsch, zurückzukehren in die Geborgenheit seiner Familie, wie bereits während der Aufnahmen zu “Violator” drei Jahre zuvor. Von kreativer Stimmung in der Villa fehlte also noch jede Spur, was es in der Anfangsphase einer Produktion so noch nie gab, Nachdem zweimal sechs Wochen, der geplante Umfang für die ersten beiden Sessions, vergangen waren, konnten Depeche Mode auf lediglich sechs mehr oder weniger fertige Songs zurückblicken. Einer davon war “Condemnation”. Es ist der Lieblingssong Dave Gahans, der später zugab, er wünsche sich, diesen Titel selbst geschrieben zu haben. Wilder wußte über seine Entstehung zu berichten: “Die Idee war, ein Gospeil-Feeling zu produzieren, ohne daraus einen Mischmasch zu machen. Wir wollten dazu einen Effekt erzielen, der vorgibt, daß alles in einem Raum abläuft. Jeder der fünf Anwesenden mußte am selben Ort Klänge erzeugen. Fletcher schlug mit einem Stock auf einen Koffer, Flood und Dave klatschen in die Hände, Martin spielte Orgel und ich Schlagzeug.” Im Mittelpunkt solle schließlich der Gesang stehen, der in einer weiß gefliesten Farage mit ganz speziellem Hall aufgenommen wurde und in den Gahan so viel Energie seines ausgemergelten Körpers steckte, daß er anschließend beinahe zusammengebrochen wäre. Zurück im Studio wurde seine eigene Ansicht bestätigt. “Dave, das waren die besten Vocals, die du je gesungen hast”, lautete das einstimmige Ergebnis. Und das hatte auch einen ganz bestimmten Grund. In der Tat gaben die Texte für das kommende Album, welches den Titel “Songs Of Faith And Devotion” tragen wird, dem Sänger das Gefühl, auf ihn zugeschnitten worden zu sein, auch wenn es nicht der Fall war, wie Martin Gore immer betonte. Gahan sang die Songs nicht einfach, sondern fühlte sie, fand sich darin wieder und ging mit ihnen schließlich in einer Einheit auf. So absurd der Umstand aus heutiger Socht anmuten muß, er ist dennoch einleuchtend: Ohne den bandinternen, desolaten Zustand, vor allen des Sängers, hätte das Album komplett anders geklungen. Vielleicht sogar anders als es günstig gewesen wäre, denn wie sich herausstellen wird, macht die Band trotz des Chaos alles genau richtig.
 

demoderus

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Martin Gore hatte zu diesem Zeitpunkt die Texte für sechs Titel fertiggestellt und auch mit deren Produktion lag man schließlich noch halbwegs im selbst gesteckten zeitlichen Rahmen. “Walking In My Shoes” und “In Your Room” waren neben “Condemnation” die ersten Songs, die sich in ihrem Endstadium befanden. Vor allem die Produktion von “Walking In My Shoes” war zietaufwendig und nervenaufreibend. Die ganze Band war mittlerweile zumindest darin überein gekommen, daß eine weitaus rockigere Richtung eingeschlagen werden soll, wenngleich noch immer jeder Mitwerkende die Akezente auf unterschiedlichen Komponenten sah. Als elektronisches Equipment dienten ihnen weniger moderne Synthesizer als zuletzt. Analoge Geräte fanden wieder Einsatz, mit denen sich der angepeilte rauhe Sound besser umsetzten ließ. In “Walking In My Shoes” schlägt sich dieser endlich erzielte kleine Erfolg vorerst noch zaghaft nieder. Eines ist aus ihm dennoch nicht geworden: Der glasklare, glatte Popsong und Ohrwurm, der garantierte Hit, der er als geplante erste Single hatte werden sollen. Am Anfang ertönt ein verzerrtes Piano, dann kommt ein Cembalo-Sample dazu, verschiedene, übereinander gelagerte Loops sorgen für einen Rhythmus, der sich anscheinend permanent ändert und gescratchte Klänge, wie sie im Hip-Hop gängig sind, geben weitere Kanten – im Vergleich zu Depeche Modes bisherigen Ansätzen ein bisweilen schmutziger Tenor. Ähnlich wie bei der Produktion von “Enjoy The Silence” zeigte sich Daniel Miller, der hin und wieder in Studio auftauche, unzufrieden über das Endergebnis des in seinen Augen designierten Singlehits, doch in diesem Fall blieben seine Einwände unberücksichtigt und der Song verließ letztendlich genau so das Studio, wie es sich die Band allein vorstellte.

Nach den insgesamt desaströsen Sessions in Madrid war eine kurze Phase der Erholung von Nöten, bevor es für den dritten Teil der Aufnahmen nach Hamburg ins Chateau du Pape ging. Eigentlich war Hamburg eine Notlösung, weil wenige Tage vor dem geplanten Umzug in ein Studio nach Bologna ihre Termine zugunsten eines einheimischen Künstlers gekündigt wurden. Andy Fletcher blieb aus gesundheitlichen Gründen zu Hause, was dem von seiner Anwesenheit zuletzt stark genervten Alan Wilder sehr gelegen kam. An ihrer Arbeitsroutine sollte sich auch in Deutschland kaum etwas ändern. Gore startete oft tagelange Sauftouren und Gahans Drogensucht war inzwischen so offensichtlich, daß es häufig zu Diskussionen und Streiterein kam, mit denem ihm die anderen ins Gewissen reden wollten. Einen vorbildlichen Charakter, der vielleicht irgend etwas bewirkte hätte, fand er in nicht in seinem Umfeld, schon gar nicht in Martin, und deshalb auch nicht den geringsten Grund, seine Sucht in den Griff zu bekommen. Mehr noch: Wenn Theresa für einige Tage zu Besuch einflog, verschwand er mit ihr häufig die komplette Zeit spurlos im Zwielichtt der Hamburger Szene. Ein weibliches Mitgleid des Fanclubs Bong wird zur Berichterstattung in die Stadt entstandt und laut ihres Artikels im Magazin des Clubs hat sie in dem Unbekannten, der neben ihr auf der Couch saß, erst nach fünfzehn Minuten ihren einstigen Traumann Dave Gahan erkannt.

Die Stimmung hellte sich schließlich auf, als das Album konkrete Formen annahm. Martin und Alan verstanden sich wieder besser und tingelten abends durch die Clubs oder gaben zusammen spontane Ständchen in der Hotelbar, wobei Martin jeden erdenklichen Song sang und Alan mit ihm für die Begleitung am Piano sorgte. Bis heute dat der Songwriter nicht mit dieser Tradition gebrochen und läßt sich nach vielen Konzerten am Klavier nieder, um vorzugsweise Elvis-Klassiker zum besten zu geben. Eine weitere Angewohnheit, die früher häufig zu ernsten Ärgernissen in der Gastrononmiewirtschaft führte, hat er mittlerweile abgelegt: Den unweigerlich parallel einhergehenden Strip vor reichlich Publikum.

Der einzig wirkliche Rocksong auf “Songs Of Faith And Devotion”, häufig als “SOFAD” abgekürzt, ist “I Feel You”, welcher neben sieben weiteren Titeln in Hamburg aufgenommen wurde. Mit schlepperndem Beat, harter Elektronik und einem noch gewaltigeren Gitarrenriff auf Endlosschliefe – in Gores Demo soll es weitaus brachialer rüberkommen – hebt sich “I Feel You” deutlich vom Rest des Albums ab, welches bei genauer Betrachtung gar nicht so gitarrenlastig erscheint wie ihm gerne nachgesagt wird. Vielleicht ist dieser Eindruck einfach auf Gahans äußerliche Transformation zum Rock-Messias zurückzuführen. Ungleich auffälliger zeigt sich hier schon eher die Inhomogenität und der nicht vorhandene Fluß in der Songfolge. So konzeptionslos wie an die Produktion herangegangen wurde präsentiert sich auch ihr Ergebnis. Jeder Titel für sich gesehen scheint vollständig ausgereift, aber einen gemeinsamen Nenner, den berühmten roten Faden, sucht man hier vergeblich. Wie auch? Schließlich glich das Arrangement eines jedes einzelnen Songs einem Ego-Kampf für die Umsetzung des persönlichen Geschmackes, und daher ist es nur bezeichnend, daß die erste Auskopplung den härtesten Tract “I Feel You” und den stillsten Moment “One Caress” auf einer Single vereint. Sowohl die Single wie auch das gesamte Album wirkten komplett losgelöst von aktuellen Strömungen in der Musikszene. Während Depeche Mode in den achtziger Jahren stets als Trendsetter im Feld der elektronischen Musik galten, dabei aber noch deutlich mit dem Sound der deutschen Elektronikpioniere Kraftwerk verwurzeit waren, ließ sich nun kein Vorbild mehr erkennen. Elektronische Dancemusik bestimmte die Charts, aber ähnliche oder weiterentwickelte Elemente blieben, anders als erwartet, auf “SOFAD” konsequent außen vor. Alan Wilder erklärte, nie Radio zu hören, geschweige denn zu verfolgen, welche Musik gut in den Charts läuft. Dave Gahans Interesse für die Musik amerikanischer Rockbands wie Jane’s Addiction vermehrte sich in den vorangegangenen Jahren. Er genoß es, unerkannt ihre Konzerte in Amerika zu besuchen, denn das wäre in Europa niemals möglich gewesen. Martin Gore meinte dazu: “In den vergangenen Jahren wurde es immer schwieriger, der Techno-Musik zu entkommen. Sie wird in jedem Club gespielt, in jedem Radiosender. Wir reagieren auf diesen Trend wieder nur unpräsize, also spontan. Aber viele Leute aus der Techno-Szene nennen uns als ihre Vorbilder und Wurzeln. Dabei ignorieren sie einfach die Tatsache, daß wir im Gegensatz zu ihnen richtige Songs schreiben. Ich will auf keinen Fall mit dieser Art von Musik in Verbindung gebracht werden.” Vielmehr frönte er seiner Leidenschaft für Glamrock und hob mit Wayne Hussey, dem Sänger von The Mission, das Spaßprojekt The Sexist Boys aus der Taufe, um anläßlich seines dreißigsten Geburtstages eine riesige Gartenparty mit Coverversionen von Gary Glitter und T-Rex zu beschallen.

Klassische Musik war nun auch kein Tabu mehr. Für die Aufnahmen von “One Caress” wurde ein komplettes 28-köpfiges Streicherensembler in das Londoner Olympic-Studio gelade, welches Martin Gores Gesang live begleitete. In diesem Studio wurden nun auch die zuletzt verblieberen Songs “Get Right With Me” und “Judas” eingespielt, wozu die Unterstützung weiterer Gastmusiker genutzt wurde. Neben dem Gospeltrio Hildia Campbell / Bazil Meade / Samantha Smith für “Get Right With Me” hort man in “Judas” den Dudelsackspieler Steafan Hannigan. Für das Final Mixing in London gewann man Mark Stent oder “Spike”, wie er genannt wird, bis “SOFAD” genau zum Jahresender schließlich perfekt war.

Bevor es veröffentlich wurde, schoß man em 15. Februar “I Feel You” voraus, worüber sich der Sänger sehr unzufrieden zeigte. Er wollte unbedingt “Condemnation” als erste Single, konnte sich aber nich durchsetzen. Letzten Endes war diese Wahl jedoch von Vorteil, weil der schockierend unpoppige neue Sound und der dazugehörige Meilenstein in der Musikvideo-Landschaft nach mehr als zwei Jahren Funkstille umgehend eine breit Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Der kaum wiederzuerkennede Sanger zeigte in für Corbijn typischen Kameraeinstellungen, aber mit komplett untypischem Outfit, einen noch weniger vertrauten, eher spastische anmutenden Tanz und entledigt sich schließlich seiner Nadelstreigenweste vor der Schauspielerin Lysette Anthony. Die Jugensendung “Elf 99”, ein DDR-Relikt, das vom Privatsender RTL auch dem wiedervereinigten Deutschland zugänglich gemacht wurde, strahlte die deutsche Videopremiere aus, und in den folgenden Tagen gab es auf den Schulhöfen, vielen Arbeitsplätzen und natürlich in den zahlreichen Fanclubs keine Diskussion, bei der die Ansichten weiter auseinandergingen als über die Musik und das neue Outfit von Depeche Mode. Kein langjähriger Anhänger der Band hätte damals behaupten können, mit einem derart radikalen Stilwechsel gerechnet zu haben, und der Großteil wird eine lange Phase zur Gewöhnung gebraucht haben, ehe sich wieder die innige Liebe ohne Einschränkung zu Depeche Mode einstellte.
 

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Als am 22. März schließlich das Album erschien, hatte sich die Empörung längst wieder gelegt und die nicht im geringsten verblaßte Treue der Fans zeigte ihr geballtes Ausmaß, als “SOFAD” zeitgleich in England, den USA, Deutschland und vielen weiteren Ländern aus dem Nichts auf den ersten Platz der Charts krachte. Die Presse zeigte sich einstimmig angetan und die Hörebasis entdeckte in energiegeladenen Songs wie “Rush” und den melodiebetonten Nummern “In Your Room” oder “Higher Love” sofort neue Favoriten, die Plattenspieler und CD-Player nicht so schnell wieder verließen. Wohlwollend wurde nun auch das neue Image, welches die letzten Züge einer Band für Teens verbannt hatte, aufgenommen. So asozial und uncool, wie Blickfang Gahan auf machen Fan zunächst gewirkt haben mochte, so mystisch und erotisch wurde bald die Aura, die ihn fortan umgab.

Textlich bewegen sich die Songs einmal mehr um Gott, Sex und Lieve, tiefsinniger und gleichzeitig offensichtlicher als zuvor. “So weit wie auf dem neuen Album bin ich nie gegangen”, erklärte dazu Martin Gore. “In meinem Texte kenne ich, im Gegensatz zu meinem Alltag, keine Tabus. Tatsächlich erfahre ich durch das Schreiben am ehesten, wie krank mein Gehirn wirklich ist. Religion fasziniert mich seit Jahren, auch wenn mich bisher noch keine vollständig überzeugt hat. Doch der Glaube an ein höheres Wesen gibt unserer Existenz erst einen tieferen Sinn. Das einzig Gottgleiche, das ich kenne, sind Liebe und Sex. Beide Zustände werden unsere iridische Existenz überdauern, da bin ich mir sicher. Ich schreibe oft Texte darüber, weil es das ist, was mich am meisten auf dieser Welt interessiert,” Über die Songs im einzelnen sagte er: “’I Feel You’ hat einen sehr romantischen Hintergrund. Es handelt von der reinen, ewigen Liebe, die alle Zeiten überdauert, bis sie schließlich unsterblich macht – und zwar beide Partner gemeinsam. ‘In Your Room’ dagegen ist der sexuell eindeutigste Song der CD. Man kann ihn als Liebesgeständnis eines Sklaven an seine Gebieterin sehen. Als literarische Grundlage interessieren mich S/M-Thematiken schon immer, in meinem Alltag käme es nicht in Frage. In ‘Walking In My Shoes’ geht es um Unvollkommenheit, die einen Menschen erst menschlich macht, um Fehler und deren Vergebung.”

Mit “Walking In My Shoes” kam einen Monat nach der Albumveröffentlichung einer der besten Songs der LP als zweite Single heraus und erreichte in Deutschland sowie England den 14. Rang. Das seltsamste aller Videos, bei deinen Anton Corbijn Regie führte, zeigt Fabelwesen und entstellte Kreaturen in surrealen Farben. Die B-Seite “My Joy” hatte nicht den Weg auf das Album gefunden, ist jedoch ein sehr komplexer Midtempo-Track der eine ähnlich mysteriöse Stimmung wie “Walking In My Shoes” transportiert.

Unterdessen hatte Alan Wilder mit den Programmierungen für die Tournee-Backingtapes begonnen. Er kam dabei etwas in Bedrängnis, weil sich erstens die Aufnahmen zu “SOFAD” länger als geplant hinzogen und zweitens, was noch entscheidender war, bereits die europäischen Dates gebucht waren. Wilder blieb keine Zeit für Urlaub. Parallel zu Albumpromotion und Tourproben arbeite er zusammen mit Tonspezialist Steve Lyon im Olympic-Studio, später in seinem Homestudio. Dem Rest der Band war dieser Part egal. Anders als früher ließ sich keiner von ihnen im Studio blicken, hatte keine Ahnung, daß Alan häufig komplett neue Versionen aus älteren Titeln mischte (beste Beispiele: “Fly On The Windscreen” und “Everything Counts”, in diesen Versionen zu finden auf dem offiziellen Livevideo “Devotional”) und die ersten Dates beinahe hätten abgesagt werden müssen, weil ein Unglück passierte. Nach mehr als drei Monaten harter Arbeit brach bei der Konvertierung das benutzte Equipment von Hersteller Roland zusammen und alle Edits der gerade fertiggestellten Backingtapes waren gelöscht. Lediglich zwei Wochen blieben ihnen für eine erneute Editierung, was sie in Doppelschichten noch auf den letzten Drücker bewerkstelligten. Der Hersteller wurde verklagt.

Im gleichen Zeitraum arbeitete Anton Corbijn am neuen Bühnenbild und den Videos, die auf ingesamt elf Leinwände projiziert werden sollten. Er drehte für die geplante 18 Monate umfassende Tour komplett neue Clips mit Motiven aus dem Artwork, pathetischen oder erotischen Themen. Für diese Videos, wie auch für den gesamten Bühnenaufbau, empfing er nicht nur Lob von den Kritikern. Manche meinten, das Konzept sei zu kitschig, andere kritisierten einen subjektiv empfundenen Abklatsch von U2s “Zoo TV”-Bühne die ebenfalls Corbijn designte. Fakt ist, daß dies der gewaltigste Bühnenaufbau war, mit dem Depeche Mode jemals durch die Welt reisten. Er umfaßte zwei Etagen, wovon die untere im Vordergrund für den Hauptteil der Show allein Dave Gahan und seinem Mikrofonständer zugedacht war – immerhin mehr als 200 m? freie Fläche. Doch dem Sänger kam das sehr entgegen. Er liebte es, den Blick der Massen auf sich gebannt zu fühlen, wenn er wild oder lasziv den Platz, den die Bühne bot, mit seiner Person ausfüllte, und im Fitneßstudio schaffte er eisern die körperlichen Voraussetzungen für sein schweißtreibendes Vorhaben. In seinen Rücken ließ er sich kurz vor Tourstart noch einen riesigen Phoenix stechen. Gahan erklärte: “Es sollten meine Flügel für die Tour sein, sozusagen meine Geheimwaffe. Nach dem Motto: Wenn man es aushält, zehn Stunden lang mit einer Nadel bearbeitet zu werden, ist alles erträglich.” Bedenken über die riesige Bühnenfläche, die für den Frontman gedacht war, äußerte der frühere Pressesprecher Chris Carr, der die Ansicht vertrat, Gahan bliebe nichts weiter übrig als rastlos von einem Ende zum anderen zu laufen und “Yeah!” zu rufen. Der Sänger selbst betonte sein Unverständnis gegenüber derartiger Einwürfe und ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Rolle der technisch-visuellen Seite herabsetzte und jede Wirkung allein auf die Präsenz seiner Person beschränkte. “Ich persönlich muß es durchziehen, alles andere hat keinen Sinn. Im Grunde sind wir nichts anderes als eine Rock’n’Roll-Band, aber wenn ich zwei Stunden lang eine Menge Leute glücklich machen kann, ist das schon eine Leistung für jemanden, der sonst die meiste Zeit ein mies gelauntes Arschloch ist. Es ist meine kleine Chance.” Seine übertrieben selbstgefällige Einstellung führt er später, als die Tour bereits in vollem Gange war, auf die Spitze, indem er vor einem Pressevertreter prahlt: “Ich sage dir, neulich abends hatte ich diese Idee. Ich will, daß die Security-Leute es irgendwie auf die Reihe kriegen und ich über die Köpfe der Zuschauer laufen kann. Wie wäre das, Mann? Kann Prince so etwas? Ich have viel darüber nachgedacht und fit bin ich doch auch, oder? Wenn ‘Personal Jesus’ zu Ende ist, will ich ans andere Ende der Halle laufen und wenn der nächste Titel beginn wieder beleuchtet werden – ganz nach dem Motto: Hier bin ich!” Dieser Wunsch blieb Gahan verwehrt, aber die Rolle des großartigen Performers konnte er bei jedem Konzert in vollen Zügen ausleben und such an den Reaktionen des fanatischen Publikums ergötzen. Wie kaum ein zweiter Frontman es vermag, zog er mit der ersten Konzertminute das Publikum in seinen Bann, egal ob in mittelgroßen Hallen vor 10.000 oder in Stadien vor 60.000 Zuschauern. Und es hatte etwas von göttlicher Verehrung an sich, wenn eine winzige Geste des Sängers ein synchron einsetzendes Echo aus dem Publikum erfuhr – eindeutiger als früher und auch in den folgenden Jahren, darin besteht kein Zweifel.

Rund 120 Leute, ein Psychiater und ein Drogendealer eingeschlossen, sorgten für den reibungslosen Ablauf der Tour. Lediglich Andy Fletcher machte von den Diensten des Seelenklempners Gebrauch, doch nur ein einziges Mal bis man ihn schließlich wider feuerte. Anscheinend ist er keine große Stütze gewesen. Anders als bisher mußte nach vielen Gigs ein konzertfreier Tag für den Ab- und Wiederaufbau der monströsen Bühne eingeplant werden, vor allem, wenn die Orte weit voneinander entfernt lagen.

Der offizielle Startschuß für den 156 Konzerte umfassenden Tour-Marathon fiel am 21. Mai 1993 im ausverkauften Züricher Hallenstadion, nachdem es zweit Tage zuvor ein Warm-up in Lille / Frankreich gab. Das Konzert in Zürich zählt sicherlich nicht zu den besten dieser Tour. Die Band soll anfangs noch unsicher gewirkt haben und erst während des mittleren Showteils richtig aufgetaut sein. Die Fans waren jedoch vom ausladenden neuen Livekonzept begeistert und erlebten so manche Überraschung im Verlauf des Konzertes. Zu Beginn war die Bühne mit transparenten Tüchern verdeckt, auf denen sich zu künstlich arrangiertem Gewitter überdimensionale Schatten der Band abzeichneten. Deutlich erkannte man Dave Gahan im Vordergrund an seiner typischen Körperhaltung. Als er schließlich nach sechs langen Minuten aus der Verhüllung heraus und an den Bühnenrand trat, verloren viele Besucher im Sekundentakt ihr Bewußtsein und mußten über die Absperrungen gehievt werden. Für “I Feel You” und die drei folgenden Songs des regulären Sets wurde ein großes Drumkit auf die untere Ebene geschoben, auf dem Alan Wilder live spielte. Die Gospelsängerinnen Hildia Campbell und Samantha Smith, die bereits im Studio als Gastsängerinnen engagiert wurden, wirkten bei mehreren Tracks als Backgroundsängerinnen mit Heute hat man sich an das Schlagzeug und stimmgewaltige Damen mit Hintergrund gewöhnt, aber vor zehn Jahren waren dies revolutionäre Neuerungen im Livekonzept der eher als Mechaniker denn als Musiker betrachteten Performer Depeche Mode. Auch Martin Gore konnte man verstärkt an seiner Gitarre erleben und – zwar nicht in Zürich aber bei einigenausgewählten Konzerten – ein vollzähliges Streicherensemble, welches live zu “One Caress” spielte.
 
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