Depeche Mode Am Ende?
[Musikexpress, Juni 2003. Text: Albert Koch. Foto: Anton Corbijn / Marina Chavez.]
“Der creative Prozess bei Depeche Mode stimuliert mich nicht mehr,” sagt Dave Gahan im Gespräch mit dem Musikexpress und bringt damit Spekulationen über die Zukunft der Band in Gang. 22 Jahre lang stand Gahan zwar im Mittelpunkt von Depeche Mode, aber auch im kreativen Schatten von Martin Gore. Ein bild, das er jetzt mit seinem ersten Soloalbum Paper Monsters korrigeren will.
Der Rockstar steht seit 22 Jahren im Rampenlicht. Der Rockstar hat alles gehabt. Ruhm, Geld, Frauen, Alkohol, Drogen – Ruhm, Geld und Ehefrau, die Dritte mittlerweile, sind ihm geblieben. Drogen und Alkohol hat er hinter sich. Der Rockstar liedet trotzdem. Warum? Es reicht ihm nicht, das Gesicht einer Band zu sein. Das Gesicht von Depeche Mode. Es reicht ihm nicht, im Rampenlicht zu stehen. Er will am kreativen Prozess teilhaben. Er will mitentscheiden. Er will gehört warden. Er will reden.
Dave Gahan redet gerne. Er redet viel. Er kann durch die Antwort auf eine harmlose Frage einen harmlosen Interview eine ungeahnte Richtung geben. Aber fangen wir ganz von vorne an. Im Abstand von wenigen Wochen erscheinen zwei Soloalben von zwei Mitgliedern einer der größten Bands, die die achtziger Jahre überlebt haben: Depeche Mode. Martin Gores Counterfeit 2 und Dave Gahans Paper Monsters. Die zeitliche Nähe der Veröffentlichungstermine ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass der Sänger einer Dinosaurier-Band aus den achtziger Jahren überhaupt ein Soloalbum herausbringt. Bono und Michael Stipe machen so was nicht. “Frontmann” von U2 und R.E.M. zu sein, scheint genug Futter für übersteigerte Egos zu sein. Dave Gahan hat kein übersteigertes Ego. In der exaltierten, energiegeladenen Bühnenperson steckt ein sensibles kerchen. Später, als es darum geht, dass er sich nicht respektiert fühlt bei Depeche Mode, wird er zu Protokoll geben: “Wenn ich das jetzt sage, hörtes es sich nach Selbstmitleid an, das stimmt aber nicht. Ich will nicht bemitleidet werden, ich will nur, dass man mich beachtet.” Da möchte man ihn, den Sänger von Depeche Mode, in die Arme nehmen, ihm auf dem Rücken klopfen und sagen: “Keine Sorge, Dave, alles wird gut.”
Das Interview. Wir sitzen in der Suite eines Hamburger Nobelhotels. Die Kollegen, die vorher dran waren, lassen sich noch schnell mit Gahan auf dem Sofa fotografieren. Cheeeese. Und das Exciter-Album signieren. Und nochmal Cheeeese. Und Black Celebration. Und schnell noch Music For The Masses für Tante Marianne aus Pforzheim. Dann ist aber gut. Gahan schenkt eine Tasse Kaffee ein und steckt sich ein Zigarillo in den Mund. Fangen wir doch ganz unverbindlich an. Die Frage liegt ja so unverschämt nahe, dass sie sich fast von selber stellt:
Martin Gore gilt als der musikalische Direktor von Depeche Mode, du als der Entertainer. Versuchst du mit deinem Soloalbum, dieses Bild zu korrigieren?
“Ja, das ist richtig. Ich glaube aber, dass es mir schon gelungen ist, das Bild zu korrigieren – allein dadurch, dass ich das Album gemacht habe. Als du das jetzt gesagt hast, hat es mir einen Stich versetzt, weil ich genauso gefühlt habe. Mein Produzent Ken Thomas hat mich bei unserem ersten Treffen gefragt, warum ich denn überhaupt ein Soloalbum machen will. Icht sagte: ‘Weil ich mir immer wie ein Hochstapler vorgekommen bin.’ Er meinte daraufhin: ‘Ich glaube nicht, dass du ein Hochstapler bist, sondern ein sehr gutter Sänger.’ (lacht) Das war zwar nett, aber ich habe mich immer noch als Hochstapler gefühlt. Ich mag es, mit Leuten zu arbeiten, die etwas in mir sehen, das ich selber nicht erkenne. Ich wollte immer, dass sich Martin mir gegenüber so verhält. Aber ich habe ihm nie richtig gesägt, dass ich auch ein paar Ideen einbringen kann. Martin ist nicht gerade der Typ, der mit Komplimenten um sich schmeißt – außer fur sich selbst. Das war auch enterscheidend dafür, dass uns Alan Wilder damals verlassen hat.”
Das klingt nach leichten Spannungen. Was auch im Interview mit Martin Gore (Musikexpress 5/03) bereits zu spüren war. “Wir hatten jetzt längere Zeit keinen Kontakt”, sagte Gore damals über sein derzeitiges Verhältnis zu Gahan. Was natürlich kein Grund zur Aufregung ist. Nur in romantisierten Fan-Vorstellungen sind die Mitglieder einer großen Band gute Freunde. Sie kann niemand trennen, sie machen alles gemeinsam, sie leben sogar im selben Haus – wie die Beatles im “Help!”-Film. In der Realität sind die Mitglieder einer großen Band Geschäftsleute, die sich in Anwaltsbüros in Manhatten treffen, um vorab die Gewinne ihrer nächsten Tournee aufzuteilen – wie die Rolling Stones. Aber was Gahan über sein Verhältnis zu Gore sagt, wirkt fast so, als stünden Depeche Mode auf dem Spiel. “Ich glaube nicht, dass Depeche Mode gefährdet sind. Die Band ist, was sie ist, und wird es immer bleiben”, sagt er. Und Punkt? An dieser Stelle könnte der Befragte getrost einen Punkt machen und ganz geschmeidig zum nächsten Thema kommen. Aber Gahan macht keinen Punkt. Nicht einmal ein Komma: “Im Moment weiß ich nicht genau, ob ich bei Depeche Mode unter denselben Bedingungen arbeiten könnte wie vorher. Ich glaube nicht. Man müsste mich zu Wort kommen lassen, mich anhören und mir das Gefühl geben, dass mein Ideen genauso wichtig sind wie die Martins. Ich kann mehr und muss einfach mehr machen, das ist ganz offensichtlich. Und deshalb habe ich das Soloalbum gemacht. Ich hoffe, dass ich zu Martin sagem kann: ‘Schau her, wir haben zwar nie darüber geredet, aber das und das kann ich tun; lass es uns machen, lass uns gemeinsam daran arbeiten’.” Bei den Aufnahmen zum letzten Depeche Mode-Album Exciter war keine Rede von ‘gemeinsam arbeiten’. Gore hatte wochenlang mit einem Toningenieur und einem Programmierer an dem Demos gearbeitet, bevore en dann im Studio Dave Gahan und Andy Fletcher vor beinahe vollendete Tatsachen stellte.
Wie gegensätzlich die beiden Charaktere Gahan und Gore funktionier(t)en, wird deutlich, wenn bei Interviews die Frage auf die Musik kommt. Gahan sprach früher lieber über Gott und die Welt als über Musik. Gore dagegen reagierte selbst auf beiläufig eingestreute Namen von Minimaltechno-Künstlern aus Köln heftigst. Beispiel: 1998 beim Musikexpress-Interview in New York im Vorfeld der Depeche Mode-“Singles”-Tour bat der Fragesteller Dave Gahan darum, sich in ein bis zwei Sätzen zu jedem Depeche Mode-Album zu aüßern. Der aber winkte nur leicht genervt ab: “Das kann ich nicht, da must du Martin fragen.” Was drei Jahre spatter in Hamburg geschehen ist. Gores erste Reaktion auf denselben Wunsch: “Das ist schwierig” – aber nicht, weil er sich nicht in der Lagedazu gefühlt hätte, sondern weil es schwierig für ihn war, “das in ein, zwei Sätzen zu machen. Aber ich versuch’s mal”.
[Musikexpress, Juni 2003. Text: Albert Koch. Foto: Anton Corbijn / Marina Chavez.]
“Der creative Prozess bei Depeche Mode stimuliert mich nicht mehr,” sagt Dave Gahan im Gespräch mit dem Musikexpress und bringt damit Spekulationen über die Zukunft der Band in Gang. 22 Jahre lang stand Gahan zwar im Mittelpunkt von Depeche Mode, aber auch im kreativen Schatten von Martin Gore. Ein bild, das er jetzt mit seinem ersten Soloalbum Paper Monsters korrigeren will.
Der Rockstar steht seit 22 Jahren im Rampenlicht. Der Rockstar hat alles gehabt. Ruhm, Geld, Frauen, Alkohol, Drogen – Ruhm, Geld und Ehefrau, die Dritte mittlerweile, sind ihm geblieben. Drogen und Alkohol hat er hinter sich. Der Rockstar liedet trotzdem. Warum? Es reicht ihm nicht, das Gesicht einer Band zu sein. Das Gesicht von Depeche Mode. Es reicht ihm nicht, im Rampenlicht zu stehen. Er will am kreativen Prozess teilhaben. Er will mitentscheiden. Er will gehört warden. Er will reden.
Dave Gahan redet gerne. Er redet viel. Er kann durch die Antwort auf eine harmlose Frage einen harmlosen Interview eine ungeahnte Richtung geben. Aber fangen wir ganz von vorne an. Im Abstand von wenigen Wochen erscheinen zwei Soloalben von zwei Mitgliedern einer der größten Bands, die die achtziger Jahre überlebt haben: Depeche Mode. Martin Gores Counterfeit 2 und Dave Gahans Paper Monsters. Die zeitliche Nähe der Veröffentlichungstermine ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass der Sänger einer Dinosaurier-Band aus den achtziger Jahren überhaupt ein Soloalbum herausbringt. Bono und Michael Stipe machen so was nicht. “Frontmann” von U2 und R.E.M. zu sein, scheint genug Futter für übersteigerte Egos zu sein. Dave Gahan hat kein übersteigertes Ego. In der exaltierten, energiegeladenen Bühnenperson steckt ein sensibles kerchen. Später, als es darum geht, dass er sich nicht respektiert fühlt bei Depeche Mode, wird er zu Protokoll geben: “Wenn ich das jetzt sage, hörtes es sich nach Selbstmitleid an, das stimmt aber nicht. Ich will nicht bemitleidet werden, ich will nur, dass man mich beachtet.” Da möchte man ihn, den Sänger von Depeche Mode, in die Arme nehmen, ihm auf dem Rücken klopfen und sagen: “Keine Sorge, Dave, alles wird gut.”
Das Interview. Wir sitzen in der Suite eines Hamburger Nobelhotels. Die Kollegen, die vorher dran waren, lassen sich noch schnell mit Gahan auf dem Sofa fotografieren. Cheeeese. Und das Exciter-Album signieren. Und nochmal Cheeeese. Und Black Celebration. Und schnell noch Music For The Masses für Tante Marianne aus Pforzheim. Dann ist aber gut. Gahan schenkt eine Tasse Kaffee ein und steckt sich ein Zigarillo in den Mund. Fangen wir doch ganz unverbindlich an. Die Frage liegt ja so unverschämt nahe, dass sie sich fast von selber stellt:
Martin Gore gilt als der musikalische Direktor von Depeche Mode, du als der Entertainer. Versuchst du mit deinem Soloalbum, dieses Bild zu korrigieren?
“Ja, das ist richtig. Ich glaube aber, dass es mir schon gelungen ist, das Bild zu korrigieren – allein dadurch, dass ich das Album gemacht habe. Als du das jetzt gesagt hast, hat es mir einen Stich versetzt, weil ich genauso gefühlt habe. Mein Produzent Ken Thomas hat mich bei unserem ersten Treffen gefragt, warum ich denn überhaupt ein Soloalbum machen will. Icht sagte: ‘Weil ich mir immer wie ein Hochstapler vorgekommen bin.’ Er meinte daraufhin: ‘Ich glaube nicht, dass du ein Hochstapler bist, sondern ein sehr gutter Sänger.’ (lacht) Das war zwar nett, aber ich habe mich immer noch als Hochstapler gefühlt. Ich mag es, mit Leuten zu arbeiten, die etwas in mir sehen, das ich selber nicht erkenne. Ich wollte immer, dass sich Martin mir gegenüber so verhält. Aber ich habe ihm nie richtig gesägt, dass ich auch ein paar Ideen einbringen kann. Martin ist nicht gerade der Typ, der mit Komplimenten um sich schmeißt – außer fur sich selbst. Das war auch enterscheidend dafür, dass uns Alan Wilder damals verlassen hat.”
Das klingt nach leichten Spannungen. Was auch im Interview mit Martin Gore (Musikexpress 5/03) bereits zu spüren war. “Wir hatten jetzt längere Zeit keinen Kontakt”, sagte Gore damals über sein derzeitiges Verhältnis zu Gahan. Was natürlich kein Grund zur Aufregung ist. Nur in romantisierten Fan-Vorstellungen sind die Mitglieder einer großen Band gute Freunde. Sie kann niemand trennen, sie machen alles gemeinsam, sie leben sogar im selben Haus – wie die Beatles im “Help!”-Film. In der Realität sind die Mitglieder einer großen Band Geschäftsleute, die sich in Anwaltsbüros in Manhatten treffen, um vorab die Gewinne ihrer nächsten Tournee aufzuteilen – wie die Rolling Stones. Aber was Gahan über sein Verhältnis zu Gore sagt, wirkt fast so, als stünden Depeche Mode auf dem Spiel. “Ich glaube nicht, dass Depeche Mode gefährdet sind. Die Band ist, was sie ist, und wird es immer bleiben”, sagt er. Und Punkt? An dieser Stelle könnte der Befragte getrost einen Punkt machen und ganz geschmeidig zum nächsten Thema kommen. Aber Gahan macht keinen Punkt. Nicht einmal ein Komma: “Im Moment weiß ich nicht genau, ob ich bei Depeche Mode unter denselben Bedingungen arbeiten könnte wie vorher. Ich glaube nicht. Man müsste mich zu Wort kommen lassen, mich anhören und mir das Gefühl geben, dass mein Ideen genauso wichtig sind wie die Martins. Ich kann mehr und muss einfach mehr machen, das ist ganz offensichtlich. Und deshalb habe ich das Soloalbum gemacht. Ich hoffe, dass ich zu Martin sagem kann: ‘Schau her, wir haben zwar nie darüber geredet, aber das und das kann ich tun; lass es uns machen, lass uns gemeinsam daran arbeiten’.” Bei den Aufnahmen zum letzten Depeche Mode-Album Exciter war keine Rede von ‘gemeinsam arbeiten’. Gore hatte wochenlang mit einem Toningenieur und einem Programmierer an dem Demos gearbeitet, bevore en dann im Studio Dave Gahan und Andy Fletcher vor beinahe vollendete Tatsachen stellte.
Wie gegensätzlich die beiden Charaktere Gahan und Gore funktionier(t)en, wird deutlich, wenn bei Interviews die Frage auf die Musik kommt. Gahan sprach früher lieber über Gott und die Welt als über Musik. Gore dagegen reagierte selbst auf beiläufig eingestreute Namen von Minimaltechno-Künstlern aus Köln heftigst. Beispiel: 1998 beim Musikexpress-Interview in New York im Vorfeld der Depeche Mode-“Singles”-Tour bat der Fragesteller Dave Gahan darum, sich in ein bis zwei Sätzen zu jedem Depeche Mode-Album zu aüßern. Der aber winkte nur leicht genervt ab: “Das kann ich nicht, da must du Martin fragen.” Was drei Jahre spatter in Hamburg geschehen ist. Gores erste Reaktion auf denselben Wunsch: “Das ist schwierig” – aber nicht, weil er sich nicht in der Lagedazu gefühlt hätte, sondern weil es schwierig für ihn war, “das in ein, zwei Sätzen zu machen. Aber ich versuch’s mal”.