Der Himmel Uber Berlin
[Musikexpress, Februar 2000. Text: Steve Malins. Foto: Andy Earl / Retna / Photo Selection.]
In einer neuen Biographie erzählt Autor Steve Malins die ganze Geschichte von Dave Gahan und Co. Die in ME / Sounds vorab veröffentlichten Auszüge zeigen: In dern Berliner Jahren Anfang der 80er reiften Depeche Mode vom Teenie-Act zur Ernst zu nehmenden Band.
Nach dem ende der Aufnahmen im Garden-Studio (für “Construction Time Again” – Anm. d. Red.) sahen sich Depeche Mode noch nach anderen Studios für den Mix um, denn “The Garden” verfügte nur über ein Mischpult mit 24 Kanälen. Währenddessen war Gareth Jones (Depeche Mode-Producer – Anm. d. Red.) nach Berlin gereist, wo ihn eine Band als Produzent haben wollte. “Eigentlich hatte ich keine Lust, in Berlin zu arbeiten. Aber dann zeigte mir der Manager das Hansa-Studio – eine großes Penthouse mit einem 56-Kanal-Mischpult, damals das einzige seiner Art auf der Welt. In diesem Studiokomplex war alles sehr high-tech, was mich sehr beeindruckte. Daniel Miller (Chef des Depeche Mode-Plattenlabels Mute – Anm. d. Red.) hielt such ebenfalls in Berlin auf. Denn Nick Cave, der auch bei Mute unter Vertrag stand, arbeitete im Hansa-Studio 2, das eine riesige Halle ist – wie ein geräumiger Tanzsaal mit fabelhafter Akustik. Ich fragte Daniel, ob wir “Construction Time Again” nicht hier mixen sollten, und er war dafür.” Ein weiterer Vorteil des Hansa-Studios war die Kostenersparnis. “Der Kurs des Pfunds war sehr günstig, dabei konnte man Geld sparen”, erinnert sich Gareth Jones. “Die Band konnte in einem Top-Hotel wohnen und ihr gesamtes Equipment nach Berlin schicken – und es war immer noch billiger als eine Abmischung in London.”
Die Mitglieder der Gruppe waren sofort begeistert vom Vorschlag, in einer anderen Stadt un Umgebung und in einem eleganten Hotel zu wohnen. Die Hansa-Studios hatten ja auch eine interrressante musikalische Geschichte, weil David Bowie dort in den späten siebziger Jahren seine berühmte Berliner Trilogie – die Alben “Low”, “Heroes” und “Lodger” – eingespielt hatte. Der Engländer und sein Freund Iggy Pop hatten beide einige Jahre lang in Berlin gewohnt, und Bowie hatte Iggy Pops Alben “The Idiot” und “Lust For Life” in den Hansa-Studios produziert. Der Standort des Studios – direkt an der Berliner Mauer – hatte sicher auch zur klaustrophobischen Atmosphäre dieser Platten beigetragen.
“Wir hatten dort eine gute Zeit”, sagt Daniel Miller. “Wir arbeiteten buchstäblisch direct neben der Mauer und konnten nach Ost-Berlin hinübersehen. Berlin war eine kleine Insel mitten in der DDR, und das hatte eine seltsam beunruhigende Wirkung.” Das Berlin von 1983 hatte sich seit David Bowie und Iggy Pop kaum verändert. Wie Pop sagte, war Berlin “eine Geisterstadt, aber mit allen sich daraus ergebenden Vorteilen. Die Polizei übte Nachsicht gegenüber allem kultigen Benehmen. Und irgendwer schwankte immer angetrunken durch die Straßen.” Bowie formulierte es so: “Berlin ist eine Stadt voller Bars für traurige, enttäuschte Leute, die sich nur noch betrinken wollen.”
Daniel Miller sagt: “Berlin öffnete die Augen für einen Blick auf ein gänzlich anderes Dasein. Man konnte um zwei Uhr in der Frühe im Studio fertig sein und danach noch ausgehen und einen trinken. Außerdem herrschte in der Stadt eine Atmosphäre, die viel mit der politischen Situation zu tun hatte. Berlin stand nach wie vor unter Kontrolle der vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Deshalb gab es keine Wehrpflicht in Berlin, und we in Berlin ein Geschäft eröffnen oder ein Unternehmen gründen wollte, kam in den Genuss von Steuererleichterungen. Und so kamen viele junge kunstorientierte und kreative Leute nach Berlin. Die Stadt war voll von Studios, Künstlern und Menschen, die sich für eine alternative Lebensweiste entschieden hatten. Es war eine 24-Stunden-Stadt mit einem Flair von Erotik, Abenteuer und Spannung, und ganz offenbar brachte das auch viele Menschen auf gefährlich Abwege. Manche Berliner führten eine exzessives Leben. Sie gingen manchmal vier oder fünf Tage lang nicht schlafen, nahmen alle Arten von Drogen und waren in künstlerischen Dingen recht radikal.”
Für Depeche Mode war dies eine gute Gelegenheit, in einer fremden Stadt mit dem Ruf von Ausschweifungen, Kunst und Extremismus Hemmungen loszuwereden. “Hansa war ein tolles Studio, und wir konnten dort wirklich interressante Dinge tun”, sagt Alan Wilder (damals viertes Mitglied von Depeche Mode – Anm. d. Red.), “aber ich glaube nicht, dass dies wesentliche Auswirkungen auf unsere Arbeit hatte. Ich denke eher, dass sich die Tatsache auswirkte, dass wir weg von zu Hause waren und jetzt zum Spielen hinaus durften – die ganze Nacht in Clubs herumhängen, das Nachtleben ausprobieren. Besonders Martin Gore war aus diesen Gründen gern im Ausland – weil er dort ein bisschen mehr aus sich herausgehen konnte.” Für Dave Gahan jedoch stellte sich alles ein wenig anders dar. Neben dem etwas älteren Wilder war er das weltgewandteste Bandmitglied und lebte schon lange in einer festen Beziehung. Zu Journalisten sagte er: “Martin ist hier und jetzt so, wie er eigentlich immer sein wollte. In seinen Teenagerjahren verpasste er so viel. Er ging fast nie aus, um etwa mit einem Mädchen zusammen zu sein oder sich mal voll laufen zu lassen. Jetzt lebt er das alles aus. Und das ist auch gar nicht so schlecht – jeder sollte diese Phase einmal durchmachen.” Auch für Wilder war das eine “absolute wichtige Phase, in der einige von uns ein wenig vertrauter mit der Welt wurden. Da kam es zu manchen Veränderungen, am wenigsten wohl bei Dave, glaube ich. Es gab keine dramatische Umwälzung bei ihm, aber ich bemerkte, dass er an Gewicht verlor, dass er drahtiger und aggressiver in seinem Auftreten wurde. Vielleicht spürte er einen gewissen Druck in seinem Privatleben mit Jo (seine damalige Freundin – Anm. d. Red.).”
In dieser Phase trat auch der Kontrast zwischen den Persönlichkeiten von Gahan und Gore klar zutage. Gahan blieb stets zurückhaltend und vorsichtig, während sich der jung Songschreiber dem lebenslustigen, spielerisch erotischen Lifestyle von Berlin anpasste. Chris Carr (Depeche Mode-Pressesprecher – Anm. d. Red.) bemerkte die Unbekümmertheit, mit der Gore neue Erfahrungen in sich aufnahm, während Gahan gegen jede Art von Ausschweifung ankämpfte: “Osmose ware ein gute Name für Martin,. Er destilliert alles in seinem Inneren und nimmt dann davon, was ihm gefällt. Ich glaube, Martin war Dave nun durchaus ebenbürtig geworden, aber Dave denkt nicht in diese Richtung – ob er sich darüber klar ist oder nicht. Er checkt die Leute gern aus. Gehören sie zu mir und meiner Art, oder stehe ich für sie auf einem anderen Niveau? Dave muss sich auch immer irgendwas beweisen. Martin hat es in dieser Hinsicht allem Anschein nach viel leichter, bei ihn geht alles wie von selbst. In Martins Gesellschaft ist man von seinem großzügigen Verhalten und überhaupt seiner ganzen Ausstrahlung gefangen, wenn nicht gar befangen. Mit ihm zusammen kann man leicht in Verlegenheit kommen.”
Zur gleichen Zeit verliebte sich Gareth Jones in die Sängerin einer deutschen Band und zog ebenfalls nach Berlin. Der empfindsame Produzent meint: “Es hat etwas Seltsames, in einer eingemauerten Stadt zu leben, die allem Anschein nach von Feinden umgeben ist. Jedenfalls schien mir in Berlin alles völlig anders als in London. Die Stadt hatte Stromlinienform, war fast futuristisch, und in die vielen düsteren Bars konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit gehen. Und dann die vielen Schwarz gekleideten Freaks, in Kellern, Lagerhäusen und düsteren Bars.” Auch Martin Gore paste sich im Stil seiner Kelidung dieser Szene an, nachdem er eine Weile in Berlin gelebt hatte. “Außerdem herrschte in Berlin eine gewisse Großzügigkeit in den gesetzlichen Bestimmungen zu Pornographie und Alkohol”, erinnert sich Gareth Jones.
All diese Veränderungen im Lebensstil wirkten sich bei den künftigen Projekten aus. Aber zunächst einmal wurde am 11. Juli 1983 die erste Single aus “Construction Time Again” veröffentlich. Das Album war sehr erfolgreich in Deutschland, doch die Single “Love In Itself war ein Flop. “Das geht uns nicht in den Kopf. Kann ja sein, dass der Erfolg völlig unberechenbar ist.” Der begeisterungsfähige Dave Gahan fand den kommerziellen Erfolg von Depeche Mode in Deutschland toll: “Das ist ein spannender Markt. Wir genießen es, in Deutschland zu sein. Dort kann man sehen, dass sich etwas tut, dass wir weiterkommen. Jedesmal wenn wir in Deutschland spielen, merken wir, dass wir immer größer werden.”
In den ersten Monaten des Jahres 1984 befand sich der Mittelpunkt der Welt von Depeche Mode in Deutschland, wo – abgesehen von einer Londoner Session im Islington’s Music Works Studio – “Some Great Reward”, das nächste Album, geschrieben, aufgenommen und gemixt wurde. Die neuen Songs von Martin Gore bestimmten den Ton der durch Erfahrung korrumpierten Unschuld auf dieser Platte, die ein militaristischer Beat begleitete. Berlins düsterer Hedonismus zog Gore zwar an wie das Licht die Motten, aber gleichzeitig konnte das Leben unter dem grauen Himmel der Stadt auch isolierend, leer und langweilig sein. Die einsamen Studen des Songschreibers in seiner Mietwohnung in Charlottenburg trugen ihren Teil zum neuen Album bei. Inzwischen war seine Beziehung zu Christina (seine damalige Berliner Freundin – Anm. d. Red.) zum stärksten Einfluss auf sein Schreiben geworden, indem er die erste Blüte der Liebesaffäre verarbeitete.
[Musikexpress, Februar 2000. Text: Steve Malins. Foto: Andy Earl / Retna / Photo Selection.]
In einer neuen Biographie erzählt Autor Steve Malins die ganze Geschichte von Dave Gahan und Co. Die in ME / Sounds vorab veröffentlichten Auszüge zeigen: In dern Berliner Jahren Anfang der 80er reiften Depeche Mode vom Teenie-Act zur Ernst zu nehmenden Band.
Nach dem ende der Aufnahmen im Garden-Studio (für “Construction Time Again” – Anm. d. Red.) sahen sich Depeche Mode noch nach anderen Studios für den Mix um, denn “The Garden” verfügte nur über ein Mischpult mit 24 Kanälen. Währenddessen war Gareth Jones (Depeche Mode-Producer – Anm. d. Red.) nach Berlin gereist, wo ihn eine Band als Produzent haben wollte. “Eigentlich hatte ich keine Lust, in Berlin zu arbeiten. Aber dann zeigte mir der Manager das Hansa-Studio – eine großes Penthouse mit einem 56-Kanal-Mischpult, damals das einzige seiner Art auf der Welt. In diesem Studiokomplex war alles sehr high-tech, was mich sehr beeindruckte. Daniel Miller (Chef des Depeche Mode-Plattenlabels Mute – Anm. d. Red.) hielt such ebenfalls in Berlin auf. Denn Nick Cave, der auch bei Mute unter Vertrag stand, arbeitete im Hansa-Studio 2, das eine riesige Halle ist – wie ein geräumiger Tanzsaal mit fabelhafter Akustik. Ich fragte Daniel, ob wir “Construction Time Again” nicht hier mixen sollten, und er war dafür.” Ein weiterer Vorteil des Hansa-Studios war die Kostenersparnis. “Der Kurs des Pfunds war sehr günstig, dabei konnte man Geld sparen”, erinnert sich Gareth Jones. “Die Band konnte in einem Top-Hotel wohnen und ihr gesamtes Equipment nach Berlin schicken – und es war immer noch billiger als eine Abmischung in London.”
Die Mitglieder der Gruppe waren sofort begeistert vom Vorschlag, in einer anderen Stadt un Umgebung und in einem eleganten Hotel zu wohnen. Die Hansa-Studios hatten ja auch eine interrressante musikalische Geschichte, weil David Bowie dort in den späten siebziger Jahren seine berühmte Berliner Trilogie – die Alben “Low”, “Heroes” und “Lodger” – eingespielt hatte. Der Engländer und sein Freund Iggy Pop hatten beide einige Jahre lang in Berlin gewohnt, und Bowie hatte Iggy Pops Alben “The Idiot” und “Lust For Life” in den Hansa-Studios produziert. Der Standort des Studios – direkt an der Berliner Mauer – hatte sicher auch zur klaustrophobischen Atmosphäre dieser Platten beigetragen.
“Wir hatten dort eine gute Zeit”, sagt Daniel Miller. “Wir arbeiteten buchstäblisch direct neben der Mauer und konnten nach Ost-Berlin hinübersehen. Berlin war eine kleine Insel mitten in der DDR, und das hatte eine seltsam beunruhigende Wirkung.” Das Berlin von 1983 hatte sich seit David Bowie und Iggy Pop kaum verändert. Wie Pop sagte, war Berlin “eine Geisterstadt, aber mit allen sich daraus ergebenden Vorteilen. Die Polizei übte Nachsicht gegenüber allem kultigen Benehmen. Und irgendwer schwankte immer angetrunken durch die Straßen.” Bowie formulierte es so: “Berlin ist eine Stadt voller Bars für traurige, enttäuschte Leute, die sich nur noch betrinken wollen.”
Daniel Miller sagt: “Berlin öffnete die Augen für einen Blick auf ein gänzlich anderes Dasein. Man konnte um zwei Uhr in der Frühe im Studio fertig sein und danach noch ausgehen und einen trinken. Außerdem herrschte in der Stadt eine Atmosphäre, die viel mit der politischen Situation zu tun hatte. Berlin stand nach wie vor unter Kontrolle der vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Deshalb gab es keine Wehrpflicht in Berlin, und we in Berlin ein Geschäft eröffnen oder ein Unternehmen gründen wollte, kam in den Genuss von Steuererleichterungen. Und so kamen viele junge kunstorientierte und kreative Leute nach Berlin. Die Stadt war voll von Studios, Künstlern und Menschen, die sich für eine alternative Lebensweiste entschieden hatten. Es war eine 24-Stunden-Stadt mit einem Flair von Erotik, Abenteuer und Spannung, und ganz offenbar brachte das auch viele Menschen auf gefährlich Abwege. Manche Berliner führten eine exzessives Leben. Sie gingen manchmal vier oder fünf Tage lang nicht schlafen, nahmen alle Arten von Drogen und waren in künstlerischen Dingen recht radikal.”
Für Depeche Mode war dies eine gute Gelegenheit, in einer fremden Stadt mit dem Ruf von Ausschweifungen, Kunst und Extremismus Hemmungen loszuwereden. “Hansa war ein tolles Studio, und wir konnten dort wirklich interressante Dinge tun”, sagt Alan Wilder (damals viertes Mitglied von Depeche Mode – Anm. d. Red.), “aber ich glaube nicht, dass dies wesentliche Auswirkungen auf unsere Arbeit hatte. Ich denke eher, dass sich die Tatsache auswirkte, dass wir weg von zu Hause waren und jetzt zum Spielen hinaus durften – die ganze Nacht in Clubs herumhängen, das Nachtleben ausprobieren. Besonders Martin Gore war aus diesen Gründen gern im Ausland – weil er dort ein bisschen mehr aus sich herausgehen konnte.” Für Dave Gahan jedoch stellte sich alles ein wenig anders dar. Neben dem etwas älteren Wilder war er das weltgewandteste Bandmitglied und lebte schon lange in einer festen Beziehung. Zu Journalisten sagte er: “Martin ist hier und jetzt so, wie er eigentlich immer sein wollte. In seinen Teenagerjahren verpasste er so viel. Er ging fast nie aus, um etwa mit einem Mädchen zusammen zu sein oder sich mal voll laufen zu lassen. Jetzt lebt er das alles aus. Und das ist auch gar nicht so schlecht – jeder sollte diese Phase einmal durchmachen.” Auch für Wilder war das eine “absolute wichtige Phase, in der einige von uns ein wenig vertrauter mit der Welt wurden. Da kam es zu manchen Veränderungen, am wenigsten wohl bei Dave, glaube ich. Es gab keine dramatische Umwälzung bei ihm, aber ich bemerkte, dass er an Gewicht verlor, dass er drahtiger und aggressiver in seinem Auftreten wurde. Vielleicht spürte er einen gewissen Druck in seinem Privatleben mit Jo (seine damalige Freundin – Anm. d. Red.).”
In dieser Phase trat auch der Kontrast zwischen den Persönlichkeiten von Gahan und Gore klar zutage. Gahan blieb stets zurückhaltend und vorsichtig, während sich der jung Songschreiber dem lebenslustigen, spielerisch erotischen Lifestyle von Berlin anpasste. Chris Carr (Depeche Mode-Pressesprecher – Anm. d. Red.) bemerkte die Unbekümmertheit, mit der Gore neue Erfahrungen in sich aufnahm, während Gahan gegen jede Art von Ausschweifung ankämpfte: “Osmose ware ein gute Name für Martin,. Er destilliert alles in seinem Inneren und nimmt dann davon, was ihm gefällt. Ich glaube, Martin war Dave nun durchaus ebenbürtig geworden, aber Dave denkt nicht in diese Richtung – ob er sich darüber klar ist oder nicht. Er checkt die Leute gern aus. Gehören sie zu mir und meiner Art, oder stehe ich für sie auf einem anderen Niveau? Dave muss sich auch immer irgendwas beweisen. Martin hat es in dieser Hinsicht allem Anschein nach viel leichter, bei ihn geht alles wie von selbst. In Martins Gesellschaft ist man von seinem großzügigen Verhalten und überhaupt seiner ganzen Ausstrahlung gefangen, wenn nicht gar befangen. Mit ihm zusammen kann man leicht in Verlegenheit kommen.”
Zur gleichen Zeit verliebte sich Gareth Jones in die Sängerin einer deutschen Band und zog ebenfalls nach Berlin. Der empfindsame Produzent meint: “Es hat etwas Seltsames, in einer eingemauerten Stadt zu leben, die allem Anschein nach von Feinden umgeben ist. Jedenfalls schien mir in Berlin alles völlig anders als in London. Die Stadt hatte Stromlinienform, war fast futuristisch, und in die vielen düsteren Bars konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit gehen. Und dann die vielen Schwarz gekleideten Freaks, in Kellern, Lagerhäusen und düsteren Bars.” Auch Martin Gore paste sich im Stil seiner Kelidung dieser Szene an, nachdem er eine Weile in Berlin gelebt hatte. “Außerdem herrschte in Berlin eine gewisse Großzügigkeit in den gesetzlichen Bestimmungen zu Pornographie und Alkohol”, erinnert sich Gareth Jones.
All diese Veränderungen im Lebensstil wirkten sich bei den künftigen Projekten aus. Aber zunächst einmal wurde am 11. Juli 1983 die erste Single aus “Construction Time Again” veröffentlich. Das Album war sehr erfolgreich in Deutschland, doch die Single “Love In Itself war ein Flop. “Das geht uns nicht in den Kopf. Kann ja sein, dass der Erfolg völlig unberechenbar ist.” Der begeisterungsfähige Dave Gahan fand den kommerziellen Erfolg von Depeche Mode in Deutschland toll: “Das ist ein spannender Markt. Wir genießen es, in Deutschland zu sein. Dort kann man sehen, dass sich etwas tut, dass wir weiterkommen. Jedesmal wenn wir in Deutschland spielen, merken wir, dass wir immer größer werden.”
In den ersten Monaten des Jahres 1984 befand sich der Mittelpunkt der Welt von Depeche Mode in Deutschland, wo – abgesehen von einer Londoner Session im Islington’s Music Works Studio – “Some Great Reward”, das nächste Album, geschrieben, aufgenommen und gemixt wurde. Die neuen Songs von Martin Gore bestimmten den Ton der durch Erfahrung korrumpierten Unschuld auf dieser Platte, die ein militaristischer Beat begleitete. Berlins düsterer Hedonismus zog Gore zwar an wie das Licht die Motten, aber gleichzeitig konnte das Leben unter dem grauen Himmel der Stadt auch isolierend, leer und langweilig sein. Die einsamen Studen des Songschreibers in seiner Mietwohnung in Charlottenburg trugen ihren Teil zum neuen Album bei. Inzwischen war seine Beziehung zu Christina (seine damalige Berliner Freundin – Anm. d. Red.) zum stärksten Einfluss auf sein Schreiben geworden, indem er die erste Blüte der Liebesaffäre verarbeitete.