Depeche Mode - Ganz Schön... Dunkel! (WOM, 2005) | dmremix.pro

Depeche Mode Ganz Schön... Dunkel! (WOM, 2005)

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Ganz Schön... Dunkel!
[WOM, Oktober 2005. Text: Stefan Krulle. Foto: Anton Corbijn.]
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Martin Gore hat jetz mit Dave Gahan Songwriter- Konkurrenz neben sich. Dem neuen Album bekommt das ganz hervorragend.

Im Grunde sollte eingutes Album ja so konzipiert sein, dass sich das Durchhören vom ersten bis zum letzten Titel nicht nur anbietet, sondern auch lohnt. Genau das ist beim jüngsten Werk von Depeche Mode eigentlich auch der Fall, und dennoch empfehlen wir eine kleine Eskapade gleich zu Beginn: Fangen Sie mit dem vierten Titel “The Sinner In Me” an und lassen Sie dann die Ferbedienung Ihres CD-Players unangetastet, bis der nächste Track, die Single “Precious” durchgelaufen ist. Na? Und? Finden Sie nicht auch, dass er nur selten eine derart geniale, mutige und verwirrend schöne Songfolge im Pop zu hören gab? Dann darf “Playing The Angel” jetzt wieder auf Anfang gestellt werden, wo Sie mit “A Pain That I’m Used To” gleich der nächste schöne Song erwartet. Wie gesagt: Es lohnt sich.

Martin Gore übrigens wunder sich über solche Delikatessen nicht allzu sehr. Der Songwriter einer der weltweit erfolgreichsten Bands mit Gründungsdatum in den Achtzigern erklärt sich die Qualität seiner Songs umgemein wertkonservativ: “Das Leben ist zum Lernen da, und ich have damit nie aufgehört. Also kann ich heute weit entspannter an ein Album herangehen als 1985. Damals lebten wir alle noch total für den Moment und glaubten, ständig was ganz Tolles zu verpassen.” Der 44-Jährige wirkt schwer entspannt und bleibt selbst bei Fragen nach seinem neuen Songwriter-Konkurrenten aus der eigenen Band ganz ruhig. “Ich habe nach Daves Soloalbum sowieso fest damit gerechnet, dass er beim nächsten mal mit ein paar Songs ins Studio schneien würde. Und es waren gute Songs, also haben wir sie aufgenommen.”

Gitarrist Andrew Fletcher hält beinahe noch sanftere Rückschau auf die Tage im Studio. “Es hat kaum fünf Wochen gedauert, bis Martin und Dave ihre Songs fertig hatten. Und das Aufnehmen ging auch reichlich und für uns ungewohnt schnell. Wahrscheinlich funktioniert das nur, wenn du dir alle Zeit der Welt gönnen könntest.” Jedenfalls atmet “Playing The Angel” ungewohnt viel Raum und Muße, womit wir erneut bei jenem vierten Titel wären. “The Sinner In Me” nämlich ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wozu Depeche Mode heute in der Lage sind und vor zehn Jahren eben noch nicht waren. Ganz zu schweigen von der Anfangsphase.

Das Stück lebt wie das ganze Album von seiner klaren, spartanischen Instrumentierung. Kein Bombast, keine Streicher, die in jede freie Ecke sickern wie Schlagsahne in die Erdbeeren. Und außerdem flirten Depeche Mode wieder ganz heftig mit dem Rock’n’Roll, setzen schwere Gitarrenriffs nicht mehr zur Deko, sondern als essentielle Dreh- und Angelpunkte ihrer Songs ein. Auch Daves Gesang ist reifer, weniger exaltiert als früher und fühlt sich jetzt auch in dunklen Abgründen noch wohler. “Unsere vergangene Tour war für ihn eine wichtige Erfahrung”, meint Fletcher, “er stand damals ganz allein exponiert auf einer eigenen Plattform. So einen Quatsch machen wir nie wieder. Wir sind schließlich eine Band.” Und das hört man mehr als je zuvor.

Depeche Mode
Playing The Angel

Dave Gahan und Martin Gore, die “neue” Doppelspitze von Depeche Mode, lassen die Erinnerung an elektronischen Pomp endgültig verblassen und sind zu Meistern dunkel gefärbter Rock-Epen geworden.
 
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