Depeche Mode - Retrotechno Fur Millionen (Spex, 1993) | dmremix.pro

Depeche Mode Retrotechno Fur Millionen (Spex, 1993)

demoderus

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Retrotechno Fur Millionen
[Spex, April 1993. Text: Ralf Niemczyk. Foto: Anton Corbijn / Ralf Behrendt.]
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demoderus

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Was passiert nur mit dem Spex-cover? Erst kommt der grosse böse wolf (Ice Cube), und jetzt nehmen wir die vier kleinen schweinchen (Depeche Mode) auf den title. – Aber we interessiert sich überhaupt für Depeche Mode? Nur techno-götter wie Derrick May, die wichtigsten house-produzenten und millionen von fans? Seit mehr als zwölf jahren spielen Depeche Mode gute pop-musik: dumm, glänzend und molltonal. Kaum jemand gab ihnen bis jetzt respect. Jetzt muss die geschichte der entmenschten maschinenmusik umgeschrieben werden.

»Just Can’t Get Enough« war für mich eigentlich einer der Auslöser, mich intensiver mit dieser Art von Musik zu beschäftigen. Warum nun gerade Depeche Mode? Hmm, während John Foxx mir zu brav und Gary Numan zu depressiv war, kreierten Depeche Mode die goldene Mitte. Es gelang ihnen, trotz steriler Technik Musik zu schaffen, die Seele, Herz und Verstand hatte. Und als dann »Master & Servant« mit seinen für die damalige Zeit extrem harten Metalsounds veröfftenlich wurde, war mir klar, daß das die Zukunft sein würde. Während Einstürzende Neubaten mit ähnlichen Experimenten meiner Meinung nach eher Krach machten, gab’s bei Depeche Mode trotz extrem harter Sounds als Ausgleich immer die wunderschön poppigen Melodien.
Luca Anzelotti / Michael Münzing, Ehemalige DJ’s, Snap-Produzenten, Frankfurt

Bis auf die Texte mochte ich Depeche Mode so als Popgruppe eigentlich immer ganz gern. Aber wenn es darum geht, wer mit seinen Produktionen weiter vorne war, würde ich eher Silicon Teens als Depeche Mode nennen. Die waren ja auch auf Mute und hatten gleichfalls diesen frühen Daniel-Miller-Sound, nur noch gewagter.
Andreas Dorau, Sänger und Produzent, München


»Bis dann«, verabschieder sich Andrew »Fletch« Fletcher. »Bis in vier Jahren.« Der Organisator bei Depeche Mode winkt noch einmal kurz und widmet sich wieder seinem Buch. Ein Mann wie ein Physiklehrer. Konzentriert, aufgeschlossen und ernsthaft. Eher der bebrillte Computer-Spezialist als ein Popstar. Doch, wie er sagt und wie man weiß, sind Songschreiber Martin Gore und Sänger Dave Gahan ganz anders; sind es die grundverschiedenen Charaktere, die Depeche Mode prägen. Vor fast genau vier Jahren hatten wir in einer anderen cremefarbenen Hotel-Situation »ciao« gesagt. Damals, im Frühjahr ’89 durfte die europäische Media-Meute nach London fliegen. Jede(r) bekam seinen Depeche-Interview-Partner, und für uns hatte man sich Fletcher ausgeguckt. Zwischen Wachtelöhrchen auf Kiwi-Mousse und abends schick indisch essen gehen, wurde dann das boombastische Live-Album »101« und der gleichnamige US-Tour-Film von D. A. Pennebaker vorgestellt. Es war das dritte SPEX-Gespräch mit einer Band, die seit der ersten Begegnung im September 1981 zur Mega-Stadionrock-Truppe geworden war. Die mehr Dollars mit T-Shirt-Merchandising einfuhr, als die gesamte englische Indie-Branche (ohne Depeche Mode und Erasure) mit Plattenverkäufen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, haben sie bis heute einige Schwierigkeiten mit der öffentlichen Meinung. Sie sind zwar die einflußreichste Pop-Band der Welt, doch keener glaubt’s ihnen. Sie können noch so viele weltweite Erfolge einfahren, eine entsprechende »ernsthafte« Würdigung blieb ihnen bislang versagt. Und Ernst genommen woollen sie warden, seit sie 23 sind. »Radio One spielt uns nach wie vor als lästige Pflichtübung«, seufzt Fletcher. »Wir sind nicht unbedingt ERWACHSEN geworden, doch wir alle haben die Dreißig überschritten, und da gehört es einfach zu einer realistischen Einschätzung, daß man nur noch punktuell mit der Teenie-/Musik-Schreibe zusammenarbeitet. Die Nummer mit der Lieblingsfarbe machen wir jedenfalls nicht mehr. Und von gutaussehenden Pin-Ups kan mittlerweile wohl auch nicht mehr unbedingt die Rede sein, oder?« John McCreadys Artikel in »The Face« 3/89, in dem er die Einflüsse von Depeche Mode auf die Ursprünge von Detroit House aufzeigt (vgl. auch SPEX 4/89), ist meines Wissens die einzige große rezeptionsgeschichtliche Abhandlung über die musikalische Abstrahlung der Band. Auch heute hat ihr deutscher Produktmanager einige Schwierigkeiten, sie gemäß der 750.000 verkauften Einheiten von »Violator« in der bürgerlichen Magazin-Presse gewürdigt zu bekommen. »Die zuständigen Redakteure haben immer noch das Teenager-New-Romantics-Ding im Kopf«, meint er. Die Teenie-Presse dagegen hat es ihnen offenbar bie verziehen, daß sie sich nicht in der üblichen Halbwertzeit à la Bay City Rollers, Kajagoogoo oder New Kids On The Block aufgelöst oder zumindest gespalten haben. Der Artikel in »Bravo« 5/93 (»Was ist nur los mit Dave Gahan?«, »Warum Ehefrau Nr. 2 schadet«, »Was er will: Liebe, Power, Sex«) suhlt sich in Zerüttungsphantasien. Und überhaupt: Haben sie sich nicht völlig auseinander gelebt. Hat nicht Martin Gore mit Recoil ein Solo-Projekt gestartet? Die letzte Tour? Das letzte Interview?

Wege Der Geschichte

Auch das Verhältnis von SPEX und Depeche Mode is geprägt von jenem offenbar tief verwurzelten Mißtrauen gegenüber dem europäischen Pop-song. Beim Durchsehen all jener Kurzkritiken und Artikel hatte ich den Eindruck, daß niemand (mich eingeschlossen) ihnen eine musikalische Ehrerbietung zugestehen wollte. Selbst »People Are People« war mehr ein Phänomen als ein guter Song: »Diese einzelnen Elektro-Stücke wären nichts ohne die markierenden Videos oder Fernsehbilder«, schrieb Peter Bömmels im Olympiajahr 1984. Diederischen kam in einer Art Jung-Kracauerschen Analyse der poulären Oberfläche (»Sounds« 7/81) zu dem Schluß, daß »sie absolute here today und sehr wahrscheinlich gone tomorrow« wären. Seit sie blutjung und naiv mit »Photographic Pictures« auf der von Stevo Anfang ’81 zusammengestellten Wave-Legende »Bizzare« auftauchten, sahen sie die Kollegen passend für »jede Talkshow / Drehscheibe« oder man stellte sich vor, »wie schöne junge Menschen ihre neu-romantischen Oberschenkel vertraümt im Takt wiegen«. Wenn schon Pop, dann gehörten die Herzen mindestens Heaven 17 oder Altered Images. Die molltonale Schwere von Depeche Mode dagegen stimmte mißtrauisch. »So richtig nett« (10/81) waren sie ja, doch zu mehr konnte sich in den folgenden Jahren niemand hinreißen. Das bis heute recht innige Verhältnis zu ihrem Hauslabel »Mute« führte Autor Ralf Behrendt gar zu einem verwegenen Verdacht: »Dann trat Daniel Miller in den Umkleideraum (ich dachte erst, der Pfarrer kommt) und begrüßte mich mit einem langen, warmen Händedruck, einem tiefen Blick in die Augen und sprach auffallend sanft mit mir. Ich empfand das zwar nicht direct als unangenehm, aber in mir keimte eine Vermutung: es gibt auf dem ganzen »Mute«-Label eigentlich nur relative gut aussehende junge Männer, man erinnere sich an DAF, an Fad Gadget. Aber bei sowas kann man sich ja auch vertun.«

Irgendwann 1982 war dann Vince Clarke weg, und Martin Gore schwang sich zum obersten Songschreiber auf. Clarke gründete Yazoo mit Alison Moyet, und Gore kippte die romantischen Schlenkerschliefen zugunsten eines härteren, für ihre Verhältnisse geradezu experimentellen Sounds. Mit »Construction Time Again« waren auch die ungelenken Synthie-Tänzchen auf der Bühne passé. Die neue Ästhetik nahm den Pop-Futurismus von EBM (und spatter Tekkno) vorweg. Aus einer Teenie-Band für Blitz Kids im Rüschenhemd war eine Elektro-Hit-fabrik für junge Leute geworden. Als 1985 die erste »Singles-Collection« erscheint, können vier 25 jährige bereits auf mindestens vier, fünf maßgebliche Songs / Sounds der Achtziger zurückblicken. »Als wir über die Remixe für die aktuelle Single »I Feel You« nachdachten«, resümiert Andrew Fletcher, »haben wir uns derzeit angesagte Tekkno-Maxis angehört. Es war komisch: Viele dieser Projekte verwendeten Effekte und Hardware, die wir ‘82/’83 eingesetzt haben. Wenn das der Fortschritt sein soll? So ware es ein Schritt zurück gewesen, wenn jemand von denen einen Remix gemacht hätte. Was wir gehört haben, war harte, zum Teil recht gute, schnelle, leichtgemachte Tanzmusik. Doch das ist für uns keine Herausforderung mehr.«

So kam es zum Brian-Eno-Remix-der Single?

»Unser Produzent Flood schlug ihn vor. Eine nüchterne Sache. Wir schickten ihm die Bänder, und er machte eine Ambient-Version daraus. Die anderen Remixer, eine junge Danceband namens Superreel, die kennen wir persönlich. Meines Erachtens haben sie den besten Job hingelegt.«
 
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1987

Ich weiß nicht genau, ob jemand aufgefallen ist, welch’ grandioses und Standard-setzendes Musikjahr 1987 war. House und HipHop (New School) wurden via DJ International bzw. Def Jam greifbar (Lothar Gorris in seiner »Fresh«-Kolumne in 6/87: »Public Enemy ist das neue Ding!«), mit der Auflösung der Smiths starb die englische Popmusik, Hüsker Dü nahmen ihren Abschied mit »Warehouse Songs And Stories« und bereiteten gleichzeitig den Weg für den Underground-Rock-Komplex von Blast First / SST bis Henri Rollins. Was ’77 eruptiv PASSIERTE, war zehn Jahre spatter ein sich nur in der Rückschau in seiner ganzen Dimension erschließender Kick Off. Der Startschuß in alle Spielarten. Keine greifbare Revolution, sondern der Blueprint zur heutigen Unübersichtlichkeit. Alle bis heute und morgen gültigen Sound / Lyric-Standards wurden in diesem Jah geprägt. Die Beastie Boys, Slayer (!), Neil Young, REM, The Smiths, Guns ‘n’ Roses (verkaufstechnisch übrigens ein Schuß in den Ofen!) und LL Cool J waren auf dem SPEX-Cover. Eine große Zeit auch für diese Zeitschrift.

Depeche Mode fanden 1987 in SPEX nicht statt. Tja, und wie das nun mal so ist, muß ich sagen: Genau in diesem Jahr erscheint mit »Music For The Masses« die beste LP der Band. Waren Depeche Mode bislang auf Albumlänge auf Superhits mit Dreingaben beschränkt, gelingt es auf dieser Platte zum ersten Male, die flächigen Soundwaves soweit aufzufächern, daß sich melancholische Schwere und Beat-Geplucker in Kathedralen-hafte Konstruktion steigern. Housemusic, nur viel, viel lahmer. Ich denke da an den Schluß von »Never Let Me Down« oder die sanften Variationen um 65 bpm herum in »The Things You Said«. Wenn Kraftwerk von der Kunst zur Menschmaschine gegangen sind, dann kamen Depeche Mode vom (Kinder)-Kitsche und wurden zue prototypischen Euro-Electro-BAND, die weder Gruselgruft noch »Vamos A La Playa« verkündete. Depeche Mode haben sich der Wertschätzung aus den USA, die sie für ihren eigenen, europäischen Wef in der elektronischen Popmusik bekamen, nie sonderlich bedient. Andrew Fletcher wußte 1989 nicht, wer Todd Terry ist und lehnte es auch strict ab, sich von derzeit angesagten Hipstern remixen oder gar produzieren zu lassen. Er war sich vielmehr mit Derrick May einig, daß eine britische Ranschmeiße à la ABC oder spate Human League an einen angesagten US-Sound nicht das Ding sein kann. »Human League gingen mit Jam / Lewis zusammen«, sagte er mir damals. »Ergebnis: Sie klingen wie eine amerikanische Soulband; was sie nicht sind. Was ich an uns schätze, ist die europäische Kompnente. Es gab in den letzten zehn Jahren viele britische Bands, die amerikanisch klingen wollten. Waren sie gut?«

Retrotechno

Im Frühjahr 1992 erschien auf No. 6 (via Glitterhouse / EfA) der Sampler »Guitarrorrists«. Der Sage nach hat sich Labelmacher Terry Tolkin zu diesem Gegenschlag der Underground-Rock-Gemeinde entschlossen, nachdem die »Synthie-Band« Depeche Mode angeblich behauptet haben soll, die Gitarre werde ihren baldigen, gerechten Tod sterben. Abgesehen davon, daß solche Kulturverdränger-Rigorismen schon zig Mal ad absurdum geführt worden sind, zeigten die zitierten Klampfen-Stürmer bereits in dem Pennebaker-»101«-Film wie toll sie Ovation-Gitarre spielen können und daß viele ihrer Stücke durchaus »traditionell« zu arrangieren sind. Songs eben. Ich habe lieder vergessen, die auf »Guitarrorists« zitierte Äußerung beim Interview verifizieren zu lassen, nur könnten die Depeche Mode des Jahres 1993 selbst bei der Rettungsaktion des Kulturgutes Klampfe mitwirken: »Wir wollten mehr Performance«, erklärt Andrew Fletcher, »und haben daher mehr traditionelle Instrumente verwendet. Die Ausgangsbasis hieß »Violator«, und von dort mußte es weitergehen. Zu Anfang hat uns der immense Erfolg dieser Platte schwer zu schaffen gemacht, wir wollten uns schlieich ändern.«

»Und wie ich bereits sagte, stehen wir nicht so auf die neuesten Elektro/Tekkno-Ströme. Darüber hinaus haben wir in den letzten zehn Jahren jede erdenkliche Technologie benutzt. Einige »Violator«-Tracks wie »Personal Jesus« oder »Policy Of Truth« verweisen schon in diese Richtung. Mehr bluesig, weißt Du. Blues meets Electronic, wir mögen diese Richtung.« Da wird die Gitarre zum Instrument, könnte man in Abwandlung des beliebten Biolek-Spruches über den »Plattenspieler« sagen. Depeche Mode hämmern dem linearen Technologie-Fortschritt – ohne sich gros darüber erbauliche Gedanken zu machen – eins vor die Festplatte. Angesichts derartiger Retro-Begeisterung stellt sich natürlich die Frage, ob Dave Gahans Ab / Umzug an die US-Westküste nicht nur sein Tattoo-Verhalten, sondern auch seinen Sound-Horizont umgepolt hat, Angeblich hängt er dort mit Jane’s Addiction rum, und wie unschwer zu erkennen, hat er das dortige Designer-Biker-Wesen voll veräußerlicht: »Sicher hat Dave Gahan sein Image ganz schön geändert, doch das hat nichts mit Band-Strategie zu tun. Das ist sein ureigenes Ding.«

Zum ersten Mal seit Depeche-Gedenken werden auf dem Cover von »Songs Of Faith And Devotion« Bandköpfe zu sehen sein. Nach einer Wildente in Zellophan, einem landwirtschaftlichen Stilleben, einem Hämmermann am Matterhorn, nach rotten Lautsprechern vor Flußlandschaft nun der Mensch, das schöpferische Individuum im Mittelpunkt. Wird da eine Jazzband vorbereitet, das Fletcher-Gahan-Gore-Wilder-Quartett?

»Keine Ahnung, wir planen so nicht. Vielleicht sind wir nächstes Jahr ja wieder ganz normal zusammen im Studio. Wir hängen lediglich die Fassade, die wir zehn Jahre lang aufgebaut haben, ein wenig ’runter. Weniger kühl, ein bißchen wärmer, das Ganze. Wußtest du eigentlich, daß wir wegen der atmosphärischen Wärme unserer Sounds fast ausschließlich analoge Techniken verwenden, wenn wir im Studio sind. Wir nehmen nicht digital auf!«

Nach einem guten Jahr des Pausierens, das mit Kinderzeugen, Restaurant-Eröffnen (Fletcher) und Nichtstun ’rumgebracht wurde, trafen sich Depeche Mode in Hamburg, London und Madrid zum zehnten Studio-Stelldichein: »Wir versuchten uns an Quasi-Live-Einspielungen, allein um mehr Performance hinzulegen. Selbst wenn wir diese am Ende gar nicht mehr so einsetzen können, war es eine andere Herangehensweise. Alan will auf Tour bei einigen Songs Schlagzeug spielen, was neu für uns ist. Er übt gerade bzw. legt verschollene Talente frei. Martin spielt verstärkt Gitarre. Auch haben wir zum ersten Mal verschiedene Musiker benutzt. Ein Orchester und schwarze Gospelsänger für zwei Tracks.«

Nach dreizehn Jahren ein Cover für eine Band, die Millionen Fans und auf diesem Wege ein gutes Dutzend wichtiger Leute inspiriert hat. Eine Band als Erbe der Achtziger. Ein Plädoyer für eine Geschichtlichkeit, die sich nach vorne orientiert, das Vergangene jedoch nicht absprengt, sondern laufend befragt und möglicherweise neu bewertet.

Letzte Worte? »Soweit wie bei Guns ‘n’ Roses, wo auf Tour jeder getrennt zum nächsten Gig reist, wird es nicht kommen. Irgendwie haben es wir es geschafft, down to earth zu bleiben, auch wenn wir uns sehr verschieden entwickelt haben. Das liegt zum einen an »Mute«, hat aber auch mit uns selbst zu tun. Wir konnten über all die Jahre relativ privat bleiben. In den Pub oder ins Kino gehen, ohne jeglichen Rummel; besonders wenn die jeweiligen Veröffentlichungswellen vorbei waren. In Hamburg haben uns zwar einige Fans erkannt, das war aber eher nett als nervig. Nun denn: Alan hat Interesse am Producer-Dasein, wohingegen Martin nicht sonderlich an reiner Studioarbeit interessiert ist. Und ich glaube nicht, daß es in den nächsten zehn Jahren noch allzuviele Alben oder Touren von Depeche Mode geben wird.«

Fortschritt Durch Technik - Depeche Mode Im Wandel Der Hardware

»Keine andere Band aus dem New-Wave-Bereich hat es verstanden, derart zuckersüße Melodien zu komponieren. Songs wie »People Are People«, »Master And Servant« oder »Leave In Silence« stehen heute als Meilensteine der Popmusik da. Wäre ich ein Mädchen, hätte ich bei ihren Konzerten sicher standing an den Bühneneingängen ‘rumgelungert… Wie gesagt, für mich die »Beatles der achtziger Jahre«.
Heinz Felber
DJ und Produzent, Frankfurt


»Als Godfathers Of House würde ich Depeche Mode nicht gerade bezeichnen. Obwohl einige Old-School-Detroit-Techniker unverkennbar gleiche Songstrukturen (sich wiederholende Einfachst-Melodien etc.) benutzten, hatten sie auf den Rest der House-Szene wenig Einfluß. Klar habe ich auch die alten LPs ‘rumstehen, aber eher zum Sohören für zu Hause. Depeche Mode kommen aus der New-Wave-EBM-Ecke, die mit »meiner« Vorstellung von House wenig zu tun hat.«
Boris Dlugosch
DJ und Produzent, Hamburg
 
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1981

»Speak & Spell«, die erste DM-Platte, erscheint. Obwohl zeitgleich produzierte Elektropop-Klassiker wie Human Leagues »Dare« bereits gesampelte Drumsounds aus dem damals sensationellen Linndrum-Computer featuren, benutzen DM und ihr maßgeblich an Konzept und Klangbild beteiligter Produzent Daniel Miller (hatte als »Silicon Teens« ’79 den Prototechno-Kulthit »Warm Leatherette«, der auch an Grace Jones’ Ohren nicht vorüberging) »alte« Analog-Drummachines und pluckernde, bleepig-naïve 16tel-Motive aus dem Analogsequencer im Modulsystem. Oberheim / Sequential Circuits / Moog, denk’ ich mal. Tatsache: 12 Jahre spatter klingen die Drumsounds und –patterns von »Dare« anachronistisch und unbeholfen, während die knackend-synthetische Bassdrum von »New Life« in einer heutigen House-Produktion die allerslammendste Figur abgeben würde. DM und Miller haben auf »Speak & Spell« - im Gegensatz zu »Synthie-Pop«-Mitstreitern wie Soft Cell, Human League oder auch Heaven 17, um nicht zu sagen… Visage?… - sozusagen instinktiv den liftenden Effekt monotoner Resonanz-Filter-modulationen, a.k.a. Acid, erkannt. Und diese tief Weisheit im Arrangement superunschuldiger Happy-Go-Lucky-Songs! Auf Wiederhören!

1982

Mit »A Broken Frame« followen DM – nach dem Splot von Vince Clarke, der mit Alison Moyet Yazoo gründet, aber weiterhin von Miller produziert wird, was in angefunktem DM-Sound plus Soul mündet – ihren Sensationserfolg up. Während Digitalmaschinen, allen voran das legendäre Fairlight CMI (z. B. auf ABCs »Trevor Horn’s Lexicon Of Sampling« und die plötzlich allgegenwärtigen, weil völlig faszinierenden Linn-Drums (H17: »Let Me Go« - Mann, was ham’ wa getrommelt… [Fußnote: erster Dance-Hit aller Zeiten mit 303-Bassline]) das Klangbild kontemporärer Elektro-Produktionen zu beherrschen beginnen, blieben DM ihrem Analogequipment auch drumtechnisch treu. Die damals neue TR-808-Rhythmusmaschine zieht DM offenbar starker in ihren Bann als Cheapo-Drumsamples Marke Linn und Oberheim, und so finden sich auf der zweiten LP Tonnen dieser zauberhaften Schlaggeräusche, die uns für immer begleiten sollten. Bing! (Für diesen eigenartigerweise »Kuhglocke« genannten Fantasiesound ware ein posthumer Ehrengrammy an die Roland-Entwicklungsabteilung fällig).

1983

Jetzt ist’s soweit: DM lassen sich auf die Digitaltechnik ein. Vielleicht auch deshalb, weil just in diesem Moment mit der Deklaration des MIDI-Standards (»Musical Instrument Digital Interface«) die bis heute gültige technische Voraussetzung zur problemlosen Vernetzung elektronischer Musikinstrumente und Computer auch verschiedener Hersteller gegeben ist und somit die neuen Möglichkeiten zu verlockend wären, um sie zu ignorieren. »Construction Time Again« bringt erstmals schwere Digital-Drums statt hüpfender Rhythmusboxen, was den immer schwereren Kompositionen – DM machen jetzt Umweltschutzlieder – ziemlich gut steht. Der DX7-Synthesizer erscheint und eröffnet mit der revolutionären, ursprünglich an der Stanford-Uni entwickelten und dann von Yamaha lizensierten Frequenzmodulationssynthese völlig neue Klangspektren. »Construction Time Again« strotzt vor DX7-Sounds und markiert ein Zwischenstadium in der Bandentwicklung von schnieksigen Electro-Ditties hin zur düsteren Depri-Atmo der dichten, schweren Layersounds, mit der DM kurioserweise dann so richtig BIG werden.

1984

Das Jahr, in dem Sampling brach. »People Are People« wird DM bislang größter Hit, und das nicht zuletzt aufgrund eines Novelty-Effekts, der in den folgenden Jahren als »Orchestra Hit« sowohl in keinem Rompler-ROM als auch in keener Trash-Disco-Produktion fehlen sollte. »Some Great Reward«, das 84er-Album, enthält mit »Master And Servant« die best und radikalste DM-Single: explicit S/M-lyrics plus hartes, schepperndes Arrangement, montiert aus metallischen Samples. Wahrscheinlich Sounds aus dem Lärmarchiv der Neubaten, mit denen die Band damals abhing.

1985 Bis Heute

Ja, kann man sagen. Denn: Nach FM-Synthese und Sampling kam rein oszillationstechnisch nichts grundlegend Neues. Sicher, die Speicherkapazitäten haben sich verhundertfacht, und, was wichtiger ist, die Maschinen wurden so billig, daß elektronische Wohnzimmerproduktionen seit Mitte der 80er öfters Musikgeschichte schrieben. Aber: Neue Sounduniversen wurden seitdem nicht mer durch technische Innovationen entdeckt, sondern durch neueartige Benutzung / Programmierung vorhandener Geräte. Wie beim Sampler als erweitertes Tapeloop im New School HipHop. Symptomatisch für diese technische Stagnation ist sicher auch, daß seit spätestens ’88 Revivals erst wenige Jahre alter Analogmaschinen extreme stilbildend wirkten: Heißbegehrt der Mini-Moog mit MIDI-Upgrade; die 808; das Baßmonster TB 303 (Acid wäre kein Acid ohne) und die 909 Drummachine (House wäre kein House ohne). Vince Clarke hat für Erasures 92er »ABBAesque«-Smash das Original-81er »Speak & Spell«-Equipment eingesetzt. Zoing, Plucker, Pieps!

DM lieferten seitdem mit »Black Celebration«, »Music For The Masses« und »Violator« LPs, die den Standard von Hits Marke »A Question Of Lust« hielten: Trockene, eher harte und karge Arrangements, stark samplebasiert (mit dem Sample als tonalem Sound und nicht als »Sample«) und, wofür DM echt Punkte kriegen müssen, immer den Werkssound als Erbfeind.

Hinter den DM-typischen einfachen Hooklines steckt soundtechnisch immer eine aufwendig programmierte und gelayerte Eigenkreation.

1993

»Songs Of Faith And Devotion« markiert eine Epoche, in der eine Unterscheidung von Gitarrenund Synthesizermusik hinfälliger denn je ist: Die Gitarre lebt (und verkauft) wie nie zuvor, und zugleich haben Elektro-Musiker via Digitaltechnologie Zugriff auf jede geile Marshallturm-Metalfrequenz von hier bis Monterey. DM haben ein Album, das wie das einer Gitarrenband klingt, die DM-Songs covert. Und es ware ziemlich anachronistisch, darüber nachzudenken, ob Martin Gore nun wirklich auf die Saiten drischt oder seine Riffs am Bildschirm zimmert. Bei Ministry, Young Gods oder Nine Inch Nails fragt ja auch keiner: »Ist es live oder ist es Akai?«
 

demoderus

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Spex
Date: April 1993
Pays: Allemagne
 

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